Leitartikel28. März 2023

Atomares Wettrüsten verhindern!

von

Die Ankündigung des russischen Präsidenten, taktische Atomwaffen in der benachbarten Republik Belarus stationieren zu wollen, hat eine Welle der Entrüstung und Ablehnung hervorgerufen. Die Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) warnt vor einer Katastrophe. Der Plan sei eine »extrem gefährliche Eskalation«, schreibt die mit dem Friedensnobelnobelpreis ausgezeichnete Organisation, und weist – mit vollem Recht – darauf hin, daß dies die Wahrscheinlichkeit erhöhe, daß solche Waffen zum Einsatz kommen: »Im Kontext des Ukraine-Kriegs ist das Risiko einer Fehleinschätzung oder Fehlinterpretation extrem hoch.«

Es ist wahr, daß besonders in Zeiten eines Krieges die Stationierung weiterer Massenvernichtungswaffen – und das betrifft auch taktische Raketen – eine zusätzliche Gefahr darstellt. Allerdings ist es bemerkenswert, daß ausgerechnet von Politikern der NATO-Staaten der lauteste Protest zu vernehmen ist, und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, da der Krieg in der Ukraine offensichtlich festgefahren ist und dieselben Politiker der NATO-Staaten sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, eine Lösung durch vernünftige Verhandlungen herbeizuführen.

Gleichzeitig ist der Protest aus dem Westen reine Heuchelei angesichts der Tatsache, daß US-amerikanische Atomwaffen in mehreren Ländern Westeuropas – darunter in unserer unmittelbaren Nachbarschaft auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst in Büchel – und in der Türkei stationiert sind. Zudem besteht die Wahrscheinlichkeit, daß auf der Grundlage des erst vor wenigen Tagen verkündeten Abkommens zur permanenten Stationierung von USA-Truppen in Polen auch dort taktische Atomwaffen einen neuen Einsatzort finden werden.

Die polnische Tageszeitung »Gazeta Wyborcza« spekuliert in ihrer Montagausgabe bereits über eine mögliche »proportionale Reaktion« der NATO. Die könne in der »Verlegung von mehr Truppen, Flugzeugen und Flugabwehreinheiten an die Ostflanke der NATO« bestehen. Zusätzlich zu den rund hundert Atombomben, die von den USA auf Stützpunkten in Deutschland, Italien, den Niederlanden, Belgien und der Türkei gelagert werden, »könnte der Klub der Länder, die Zugang zum USA-Arsenal haben, beispielsweise um Polen erweitert werden«, schreibt das Blatt.

Die Stationierung von Atomwaffen außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets ist also absolut keine Erfindung des russischen Präsidenten. Atomwaffen der USA befinden sich seit den dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges in Westeuropa und im NATO-Land Türkei. Während der sogenannten Kuba-Krise im Oktober 1962 gelang es noch, durch direkte Konsultationen eine hochbrisante Zuspitzung abzuwenden, indem die Sowjetunion ihre Raketen aus Kuba abzogen und die USA ihre Raketen aus der Türkei zurückholten – letztere wurden allerdings wenige Jahre später erneut dort aufgestellt.

Seit Jahren gibt es zudem das NATO-Programm der »Nuklearen Teilhabe«, laut dem im Falle eines Krieges die USA ihre nuklearen Waffen an die Stationierungsländer abgeben. Genau das plant jetzt auch der russische Präsident in Bezug auf Belarus – wodurch allerdings die Lage keineswegs entspannt wird, im Gegenteil.

Um diese gefährliche Entwicklung zu stoppen und umzukehren, gibt es bereits einen völkerrechtlich gültigen Plan, nämlich den Vertrag der UNO über das Verbot aller Atomwaffen. Den gilt es endlich umzusetzen, und zwar ohne jede Ausnahme!