Ausland12. Oktober 2021

Tories servieren konservative Suppe

Parteitag der britischen Konservativen: Abschottung, »Hochlohnwirtschaft« und Schröpfung im öffentlichen Bereich

von Christian Bunke

Die britischen Tories von Premierminister Boris Johnson, die älteste und erfolgreichste bürgerliche Partei Europas, haben vergangene Woche ihren Parteitag in Manchester abgehalten. In seiner Abschlußrede beschrieb Johnson den im Land herrschenden Arbeitskräftemangel und die damit zusammenhängenden Lieferengpässe als »Geburtswehen« einer sich entwickelnden »Hochlohnwirtschaft«.

Konzernen, die eine Auflockerung der mit dem »Brexit« neu eingeführten Visabeschränkungen fordern, sagte der Premier: »Nie wieder darf Einwanderung als eine Ausrede verwendet werden, um nicht in Menschen, Qualifikationen, Betriebsanlagen und Maschinen investieren zu müssen.« Schon seit Wochen fordert die britische Regierung Konzerne dazu auf, doch einfach die Löhne zu erhöhen, wenn ihnen die Arbeitskräfte fehlen.

Johnsons Rede war der Abschluß eines inhaltlichen Dreiklangs, dessen beide anderen Teile von Finanzminister Rishi Sunak und Innenministerin Priti Patel geliefert wurden. Wo der Premier versuchte, seiner Politik einen sozialen Anstrich zu geben, sorgte Patel für die nationalistisch-autoritären Bestandteile der konservativen Suppe. »Wir werden alle Boote zum Umdrehen zwingen!«, rief Patel den Delegierten mit Blick auf die Situation im Ärmelkanal entgegen und unterstrich damit einmal mehr den flüchtlingsfeindlichen Kurs der britischen Regierung.

Das markiert den repressiven Teil der von Premier Johnson aufgemachten Gleichung: Flüchtlinge und Migranten müssen draußen bleiben, damit Löhne steigen können. Auch feministische Gruppen und die Klimagerechtigkeitsbewegung konnten von Patel erfahren, was sie vom Innenministerium zukünftig erwarten dürfen. Minutenlang hetzte sie gegen »illegitime und disruptive Proteste« die es zu verhindern gelte. Dafür versprach sie eine entsprechende Gesetzgebung, die in Form eines neuen »Sicherheitsgesetzes« schon im Winter rechtskräftig werden könnte.

Finanzminister Sunak fiel die Aufgabe zu, die Grenzen der »Hochlohnpolitik« zu skizzieren. So in Form der Schuldenbremse, die angesichts der Coronakrise zeitweilig außer Kraft gesetzt wurde, nun aber wieder eingeführt werden soll. Für die Zukunft brauche es »fiskalische Disziplin«, sagte Sunak. Diese wird bereits teilweise umgesetzt. Eine im Rahmen der Pandemie eingeführte Erhöhung des wöchentlichen Sozialhilfegeldes für Erwerbslose und Niedriglöhner um 20 Pfund Sterling (umgerechnet etwa 24 Euro) wurde vergangene Woche eingestellt.

Für große Teile der Bevölkerung ist das ein Nackenschlag, denn die Lebenshaltungskosten steigen derzeit rapide an. Die jährliche Versorgung mit Strom und Gas könnte beispielsweise bald erstmals in der britischen Geschichte im Durchschnitt mehr als 2.000 Pfund kosten.

Auch machte Sunak deutlich, daß die »Hochlohnpolitik« nicht für öffentliche Bedienstete oder Beschäftigte im Gesundheitswesen gelten soll. Hier soll es lediglich Erhöhungen zwischen anderthalb und drei Prozent geben, während die Inflation bereits die Vierprozentgrenze übersteigt. Urabstimmungen unter den betroffenen Belegschaften haben inzwischen eine überwiegende Ablehnung dieses Lohnangebots ergeben – Streiks sind möglich. Das wäre für die Regierung eine schlechte Nachricht, denn auch im Privatsektor wächst die Zahl der Arbeitskämpfe stetig. Hier könnten in letzter Instanz die von Patel geplanten Gesetzesverschärfungen gegen »disruptive Proteste« auch gegen die Gewerkschaften greifen. Wie immer wird das aber eine Frage des Kräfteverhältnisses und der Fähigkeit zur gewerkschaftlichen Mobilisierung sein.

Derweil kündigte mit dem Adam Smith Institute ein neoliberaler Think-tank und traditioneller Bündnispartner der Tories den Konservativen die Solidarität auf. Eine von der Regierung geplante Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge, die sowohl Lohnabhängige als auch Unternehmen betreffen soll, bedrohe »den fragilen Aufschwung«, hieß es in einer Beurteilung von Johnsons Rede. Außerdem verstärke eine geplante Erhöhung der Mindestlöhne den »inflationären Druck«. Knappheiten und Preissteigerung könne man nicht »mit Rhetorik über Migranten« hinwegwischen.