Luxemburg

RTL hetzt gegen die Roma-Bettler

In einem Beitrag seines Journalisten D.H. vom 24. August über Roma, die in der Hauptstadt betteln, tritt das RTL-Fernsehen die deontologischen Minimalregeln des Journalismus mit Füßen. Der Beitrag verletzt die elementarste journalistische Sorgfaltspflicht. Ohne die geringsten seriösen Recherchen unternommen zu haben, werden Behauptungen in die Welt gesetzt und Unterstellungen gemacht, Gerüchte und Vorurteile reproduziert und zugleich aufgebauscht, Aussagen gemacht, für die es keinerlei empirische Grundlage gibt. Stigmatisieren, diffamieren, desinformieren statt aufklären und nach den Ursachen fragen. Heuchlerisch, ja verlogen klang die Ankündigung, es ginge D.H. nicht darum, mit dem Finger auf eine ethnische Minderheit zu zeigen. Seine Reportage knüpft an Beiträge an, die in der Folge des menschenverachtenden Briefes des notorischen, aber keineswegs honorigen Advokaten an die Bürgermeisterin gesendet wurden. Diese Beiträge waren durch ein übles Amalgam von bettelnden Roma, die von der schieren Not getrieben werden, mit bettelnden Luxemburgern, die z.B. aufgrund von unmäßigem Alkohol- und Drogenkonsum die Kontrolle über ihr Leben und den Sinn für bürgerliche Normen verloren haben, gekennzeichnet.

Ein Fernsehprogramm hat keine moralische Aufgabe, nicht einmal eine pädagogische ; es soll informieren. Jedoch sollte es nicht die Wirklichkeit verzerren und schon gar nicht auf die Schwächsten und Verletzlichsten der Gesellschaft einprügeln. Der Beitrag über die bettelnden Roma ist gänzlich tendenziös und einseitig ; er verstärkt die herrschenden Vorurteile und wiegelt auf statt aufzuklären, frei nach dem Motto : Die Volksseele kocht, also heizen wir sie noch ein wenig an. Doch ist dies gefährliches Zündeln, ein böses Spiel mit der Menschenwürde und dem, was eigentlich die gesellschaftlichen Grundwerte sein sollten. Hier zeigt sich die fundamentale moralische Schwäche eines Fernsehens, das nur aus dem, und für den, Kommerz lebt und das ungeniert die Interessen der Geschäftswelt vertritt. Natürlich gefällt den meisten Zuschauern wie bei diesem Beitrag vorgegangen wird ; es bestätigt all das was sie schon immer am Stammtisch und anderswo gesagt haben.

Um seine groben und unlauteren Thesen zu untermauern, hat D.H. einen weiblichen rumänischen Lockvogel hinzugezogen. Die einzige Qualifikation dieser jungen Frau ist die, daß sie in Rumänien geboren sei und somit »das Sy­stem kenne« . Diese Ad-hoc-Agentin erschleicht sich das Vertrauen der arglosen Bettler und stellt ihnen sicherlich von D.H. eingeflüsterte Fangfragen, die zumindest in einem Fall teilweise zur Zufriedenheit von D.H. beantwortet werden. Die wirkliche Frage aber, die sich stellt : Wie konnte RTL jemanden finden, der sich für eine solch schäbige Dienstleistung bereit fand ? Doch wohl nur gegen ein recht saftiges Honorar ? Was ist der Wert dieser Äußerungen ?
Die alte Mär von den wohlhabenden Roma mit ihren großartigen Villen wird wieder aufgetischt. Daß es sich dabei um viel weniger als 0,1 Prozent der Roma handelt wird nicht gesagt. Bis zu 300 Euro, behauptet D.H., würde der einzelne bettelnde Roma pro Tag einnehmen. Woher hat er diese Zahl ? Wer sich wie ich seit vielen Jahren um die Roma kümmert, auch um die Roma-Bettler in Luxemburg, weiß, daß viele von ihnen, obschon sie stundenlang in Kälte und Nässe ausharren, kaum ein paar Euro am Abend im Becher haben, auch dank der »abschreckenden« Propaganda von Medien und Polizei, im Schulterschluß.

Der RTL-Journalist sagt weiter, daß, falls dieses Betteln organisiert sei, es kriminell sei. Was aber sollte kriminell daran sein, daß sich Roma, vor allem aus der gleichen Familie oder dem gleichen Clan, zusammentun und sich gegenseitig unterstützen, gemeinsam anreisen, sich am Abend wieder zusammenfinden, um ins nahe Frankreich zurückzureisen ? Was der Journalist sicher nicht weiß, weil er sich wahrscheinlich nie mit der Geschichte, dem Leben und den Sitten der Roma befaßt hat, ist daß diese Gesellschaften stark hierarchisch strukturiert sind, was natürlich Verhalten zeitigen kann, das aus einer liberalen westlichen Perspektive kritisiert werden mag, auch wenn eine solche Kritik wiederum nicht von einer wirklich liberalen Einstellung zeugen würde. Daß es auch innerhalb der Roma-Gesellschaften Mißstände gibt, ist unzweifelhaft. Das Elend der zehn bis zwölf Millionen Roma, die vor allem in Zentral- und Osteuropa leben, ist aber unvergleichlich (oder aber, im globalen Maßstab, höchstens mit dem der Slumbewohner in Afrika und Südasien zu vergleichen).

D.H. behauptet, aus den Aussagen gehe indirekt hervor, daß diese Roma nicht freiwillig in Luxemburg betteln gehen. Dabei verfügt er für diese Behauptung über keinerlei stichhaltige Aussagen außer der Klage einer älteren Frau über ihr beschwerliches Leben.

Zum Schluß stellt sich die Frage, wie man solch üblen journalistischen Methoden in Zukunft Einhalt gebieten könnte. Gäbe es in Luxemburg eine lebendige Zivilgesellschaft, gäbe es Organisationen, die sich mutig und tatkräftig um die Rechte der Wehrlosesten kümmerten, so müßten sie eine Klage anstrengen gegen RTL und natürlich auch gegen D.H. Oder man könnte wenigstens den RTL-Mann vorschlagen für den Preis der schlimmsten Reportage 2015. Doch nicht mal dies kann man in einer Gesellschaft erwarten, in der Ruhe noch immer erste Bürgerpflicht ist, in der Kuschen als Tugend gilt und in der der moralische Schmutz lieber unter den Teppich gekehrt wird.

Armand Clesse