Israel kann nur verlieren
Kriegsziele des Aggressors können nicht erreicht werden
Israels sogenannter »Verteidigungs« -Minister Ehud Barak hatte beim Beginn des aktuellen Krieges gegen Gaza vor nunmehr fast zwei Woche einen »Krieg bis zum bitteren Ende« versprochen. Aber trotz der haushohen militärischen Überlegenheit der israelischen Kil-lermaschinerie läuft dieser Krieg nicht gut für den Aggressor Israel.
Besorgt titelte daher das US-Nachrichtenmagazin »Time« am Donnerstag : »Kann Israel seinen Angriff auf Gaza überleben ?« Mit jedem Tag werde Israels Krieg gegen die Hamas »riskanter und zermürbender, wobei sich die Kriegsgewinne im Vergleich zu den schwindelerregenden (politischen und moralischen) Kosten zu ver-flüchtigen scheinen« , so das Magazin.
Hatte sich Israel Fernseh-bilder gewünscht, die zer-lumpte und demoralisierte Hamas-Kommandeure zei-gen, wie sie mit erhobenen Händen aus Erdlöchern krie-chen, werden statt dessen die Bilder von den is-raelischen Massakern an der palästinensischen Zivilbevölkerung die Erinnerungen an diesen Krieg bestimmen.
Politische Beobachter gehen davon aus, daß Israels Wahlkampf der eigentliche Grund für den Krieg gegen Gaza ist, denn nur wer sich am härtesten und kompromißlosesten gegenüber den Palästinen-sern zeigt, hat gute Voraus-setzungen, wieder in die Regierung zu kommen. Folgt man den offiziellen Erklärun-gen der israelischen Regierung, so ist die Vernichtung oder zumindest die nachhaltige Schwächung der demokratisch gewählten Hamas das wichtigste Kriegsziel, gefolgt von der Forderung nach einer noch hermetischeren Abschottung von Gaza von der Außenwelt, angeblich damit Hamas keine Waffen mehr einschmuggeln kann.
Ausländische Soldaten sollen die Drecksarbeit machen
Da Israel inzwischen of-fenbar einsehen mußte, daß die Vernichtung der Hamas höchstens unter noch weitaus größeren Opfern erreicht werden könnte, zeigt sich die Führung des Staa-tes einem Waffenstillstand gegenüber aufgeschlossen, wenn ausländische Soldaten die Drecksarbeit übernehmen und auf ägyptischer Seite zu Zugänge nach Gaza abrie-geln.
Hamas dagegen hatte vor zwei Wochen einer Verlängerung des Waffenstillstandes nicht zugestimmt, weil Israel nicht, wie versprochen, die Blockade aufgehoben und diese sogar noch verschärft hatte. Da der neue ägyptisch-französische »Friedensplan« nur die Forderungen Israels bedient, aber nicht die der Hamas, ist er zum Scheitern verurteilt.
Israels Generäle wissen, daß die in der palästinensi-schen Bevölkerung eingebetteten militärischen und politischen Strukturen der Hamas durch den Krieg höchstens vorübergehend geschwächt, nicht aber dauerhaft vernichtet werden können. Mit der Zerstörung von palästinensischen Regierungsgebäuden und Häusern ist das nicht getan.
Die Kämpfe könnten Wochen dauern
Die Hamas-Anführer sind längst im Untergrund. Eine Möglichkeit, sie zu töten oder gefangen zu nehmen, besteht nur, wenn die Israelis die engen Gassen der Zentren der Großstädte systematisch durchkämmen würden. Dort aber wartet bereits das Gros der bis zu 15.000 Hamas-Kämpfer mit Sprengfallen und anderen Überraschungen auf die Invasoren. Die Kämpfe könnten Wochen dauern, der Blutzoll der Israelis würde rapide steigen und die israelischen Luft- und Artilleriebombardements würden eine noch weitaus höhere Zahl ziviler Opfer fordern.
Laut einer Meldung der israelischen Tageszeitung »Haaretz« vom Donnerstag ist die israelische Regierung darüber zerstritten, wie man aus dem angezettelten Krieg mit möglichst wenig Schaden wieder heraus-kommen kann. Angeblich möchte Außenministerin Tsipi Livni die Angriffe am liebsten sofort beenden, ohne Abkommen. Minister-präsident Ehud Olmert und Kriegsminister Ehud Barak wollen notfalls den Krieg es-kalieren, weshalb erneut Re-servisten einberufen werden.
Aber selbst wenn das Unmögliche gelingen und die israelische Armee tatsächlich die Hamas eliminieren würde, wäre Israel immer noch der Verlierer. Denn was soll Israel dann mit Gaza machen ? Vor dreieinhalb Jahren hatte Israel Gaza schon einmal geräumt, erstens, weil es zu gefährlich war, und zweitens, weil es die völkerrechtliche Verantwortung für die Ver-sorgung der Bevölkerung nicht tragen wollte.
Kungelei mit Abbas
Am liebsten würde Olmert daher das Gaza-Problem an seinen Lieblingspalästinenser Mahmud Abbas abtreten. Aber der bereits stark ange-schlagene Palästinenserprä-sident Abbas wäre restlos diskreditiert, wenn er nach diesem Krieg die Verwaltung von Gaza aus der blutigen Hand der Israelis überneh-men würde. Schon jetzt hat der Gaza-Krieg die arabi-schen Verbündeten Israels, die bereits mit dem Gedan-ken der Anerkennung des israelischen Staates spielten, stark geschwächt.
Angesichts wachsender internationaler Empörung über das Vorgehen Israels werde der Krieg ohnehin in einem Waffenstillstand en-den, meint das US-Magazin »Time« . Wegen des humani-tären Desasters in Gaza dürfte es Israel dann un-möglich sein, seine 18 Monate währende Blockade aufrechtzuerhalten. Damit aber wäre eines der beiden israelischen Hauptkriegsziele konterkariert.
Derweil wird sich die Ha-mas nach Einschätzung der »International Crisis Group« zum Sieger erklären. Und sie wird in der ganzen Region gefeiert werden, nicht nur, weil sie dem direkten Ansturm der stärksten Militärmacht des Nahen Osten widerstanden hat, sondern weil es ihr durch Hartnäckigkeit und Bestän-digkeit gelungen ist, die Be-völkerung von Gaza von der Tyrannei zu befreien. Mah-mud Abbas, seine Palästina-Behörde und die Fatah wer-den dagegen marginalisiert.
Damit hätte eine von gro-ßen Teilen der Bevölkerung getragene Widerstandsbe-wegung den israelischen und westlichen Plänen zum Umgestaltung des Nahen und Mittleren Osten unter erheblichen Opfern erneut einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. In der »Time« setzt sich bereits die Erkenntnis durch, daß die Hamas, »da sie militärisch nicht geschlagen werden kann« , nun von Israel und dem Westen »politisch vereinnahmt« werden müsse.
Rainer Rupp