Ausland14. Mai 2024

Vor 90 Jahren

Emigranten setzten Zeichen gegen Bücherverbrennung der Nazis

Gründung der Deutschen Freiheitsbibliothek in Paris

Ralf Klingsieck, Paris

Vor 90 Jahren, am 10. Mai 1934 und damit genau ein Jahr nach der Bücherverbrennung durch die Nazis auf dem Platz vor der Humboldt-Universität in Berlin, wurde in Paris die Deutsche Freiheitsbibliothek eingeweiht. Der Rahmen war bescheiden, denn den meisten der antifaschistischen deutschen Emigranten, die die Initiative für diese Bibliothek ergriffen hatten, fehlte es an Geld und sie waren auf die Spenden deutscher und französischer Antifaschisten angewiesen.

So konnte man nur ein bescheidenes Atelier in der am Boulevard Arago 65 gelegenen Künstlersiedlung Cité fleurie mieten. Hier wurden Regale für die Bücher aufgestellt, die Emigranten auf der Flucht aus Deutschland mitgebracht hatten und die viele von ihnen jetzt spendeten, weil dies allen Antifaschisten zugute kommen sollte und nicht zuletzt auch, weil Bücher zu einer Last auf der Flucht wurden. Die Idee für die Gründung dieser Bibliothek, die ein Spiegelbild der Bücher sein sollte, die ein Jahr zuvor in Deutschland auf den Scheiterhaufen geworfen worden waren, stammte von Alfred Kantorowicz. Der war bis zu seiner Flucht 1933 Redakteur der »Vossischen Zeitung«, kämpfte später im Spanischen Krieg in den Internationalen Brigaden und wurde nach dem Krieg Professor für Literatur an der Humboldt-Universität Berlin.

In der Freiheitsbibliothek wurden die mit den in Deutschland verbrannten Büchern identischen Titel ergänzt durch Werke schon früher verfolgter, zensierter und zeitweise verbotener Autoren, von Voltaire und Lessing über Heinrich Heine und Karl Marx bis Sigmund Freud und Albert Einstein.

Für die Sammlung der Bücher und des nötigen Geldes für die Freiheitsbibliothek wurde ein Komitee gegründet, dem neben Alfred Kantorowicz unter anderen die deutschen Schriftsteller Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger, ihre französischen Kollegen Romain Rolland und André Gide sowie der Verleger Gaston Gallimard angehörten, und das die Schirmherrschaft ausübte, solange die Bibliothek existierte.

Bei ihrer Einweihung am 10. Mai 1934 sprachen Alfred Kantorowicz, Egon Erwin Kisch und Alfred Kerr. Als Rednerpult dienten Bücherkisten, denn da es noch an Regalen mangelte, war die Bibliothek nicht fertig eingerichtet. Vom Beginn an zählte sie bereits 13.000 Bücher und diese Zahl stieg später auf 20.000. Hinzu kamen viele tausend Broschüren und Pamphlete und eine Dokumentation des geistigen antifaschistischen Kampfes mit 200.000 Zeitungsausschnitten, die nach 700 Themen geordnet und in Aktenordnern abgelegt waren. Der Grundstock dieser Dokumentation stammte vom Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus, das 1933 auf Initiative von Henri Barbusse und Paul Langevin in Paris gegründet worden war und das im Juni 1934 mit der Freiheitsbibliothek fusionierte.

Das vergleichsweise liberale Exilland Frankreich, wo man für Publikationen in deutscher Sprache keine Genehmigungen brauchte, begünstigte das Entstehen von Organisationen, Verlagen und Presseorganen. So war Paris über Jahre das wichtigste Zentrum antifaschistischer deutscher Intellektueller im Exil. Hier war bereits im Sommer 1933 der Schutzverband Deutscher Schriftsteller gegründet und das »Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror« herausgegeben worden. Es erschien in dem von Willi Münzenberg gegründeten Pariser Exilverlag Editions du Carrefour. In unregelmäßigen Abständen erschienen nun auch die Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek, die über deren Aktivitäten berichteten und darüber hinaus den deutschen intellektuellen Emigranten als Forum dienten.

In der Freiheitsbibliothek konnte man nicht nur einfach lesen, sondern darüber hinaus auch forschen. Für die Auseinandersetzung mit der faschistischen Ideologie waren sogar Schriften von Hitler, Rosenberg und anderen Nazis und deren geistigen Vordenkern vorhanden.

In der Bibliothek fanden regelmäßig Ausstellungen, Autorenlesungen und thematische Diskussionsabende statt. Die Bibliothek war auch in die Vorbereitung und Durchführung des Internationalen Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur einbezogen, der im Juni 1935 in Paris stattfand.

Höhepunkt war jedes Jahr am 10. Mai der »Tag des verbrannten Buches«. Dabei stand jedes Mal ein Gastautor im Mittelpunkt, beispielsweise Ilja Ehrenburg, Louis Aragon, Rudolf Leonhard und Erich Weinert.

Als Nazideutschland seinen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung von 1937 für braune Propaganda nutzte, hielt die Freiheitsbibliothek dagegen mit einer Ausstellung »Das deutsche Buch in Frankreich 1837-1937«, wo der Bogen von Heinrich Heine, der im Exil in Paris gelebt und geschrieben hatte, bis zu den Emigranten der Gegenwart geschlagen wurde.

Die Deutsche Freiheitsbibliothek bestand bis zum Beginn des Krieges im September 1939 und mußte dann auf Weisung der französischen Behörden schließen, weil sie eine Einrichtung deutscher Emigranten war, die – obwohl Antifaschisten – als »feindliche Ausländer« galten und fast alle in Internierungslager gesperrt wurden.

Als im Juni 1940 die Nazi-Truppen Paris besetzten, bedeutete das auch das definitive Ende der Deutschen Freiheitsbibliothek, deren Bestände höchstwahrscheinlich durch die Nazis vernichtet wurden. Heute gibt es nirgends eine komplette Sammlung der 1933 in Deutschland verbotenen und verbrannten Bücher. Nach dem Krieg haben Alfred Kantorowicz und Arthur Drews in Erinnerung an die Deutsche Freiheitsbibliothek eine Anthologie »Verboten und verbrannt« veröffentlicht, die es heute nur noch antiquarisch gibt, die man aber auch im Internet nachlesen kann.

Heute erinnert an die Deutsche Freiheitsbibliothek in Paris nur noch eine vor Jahren auf Initiative der PEN-Clubs Frankreichs und der DDR angebrachte Gedenktafel am Eingang der Künstlersiedlung Cité fleurie, deren Atelier Nummer 17 sechs Jahre lang die Freiheitsbibliothek beherbergt hat. Was aus ihren Beständen wurde, ist trotz intensiver Nachforschungen von Historikern nicht bekannt. Nur einige wenige Bücher mit dem Stempel »Deutsche Freiheitsbibliothek Paris« tauchten später im Fundus der französischen Nationalbibliothek auf.