Luxemburg09. April 2025

Wer frißt wen?

Luxemburg hat seit 1990 zugelegt: Jede zweite Frau ab 25 Jahren und sogar sechs von zehn Männern übergewichtig oder adipös

von

Emmanuela Gakidou schlägt Alarm: »Die beispiellose globale Epidemie von Übergewicht und Adipositas ist eine tiefe Tragödie und ein monumentales gesellschaftliches Versagen«, schreibt die Hauptautorin der bislang umfassendsten weltweiten Analyse zum Thema, für die über 12.000 Fachleute aus mehr als 160 Ländern wissenschaftliche Datensätze aus 184 Ländern und Regionen ausgewertet haben, und die kürzlich in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift »The Lancet« veröffentlicht wurde. Die Warnung gilt auch für Luxemburg, wo den Angaben zufolge mittlerweile jede zweite erwachsene Frau (ab 25 Jahren) und sogar sechs von zehn erwachsenen Männern übergewichtig oder adipös sind.

Waren laut diesen Angaben 1990 erst knapp 37 Prozent der weiblichen Landesbewohner übergewichtig oder adipös, so waren es 2021 bereits 52 Prozent, fast 42 Prozent mehr. Bei den Männern, die sich in den drei Jahrzehnten von knapp 48 auf über 62 Prozent steigerten, beträgt die Zuwachsrate 31 Prozent. Die Vorhersage der Wissenschaftler für das Jahr 2050 lautet bei den Frauen 65 und bei den Männern 73 Prozent, wobei sie in Luxemburg von Zuwachsraten von nur noch 24 bzw. 17 Prozent ausgegangen sind.

Vergleicht man diese Entwicklung mit denen in den Nachbarländern, so stellt man eine Vereinheitlichung fest. 1990 betrug der Anteil übergewichtiger oder adipöser Frauen in Belgien 39 Prozent, 2021 waren es schon 56. Bei den belgischen Männern stieg der Anteil von knapp 42 auf fast 59 Prozent. In Frankreich waren 1990 erst weniger als 30 Prozent der Frauen und knapp 41 Prozent der Männer übergewichtig oder gefährlich übergewichtig, doch die Anteile erhöhten sich in 30 Jahren auf mehr als die Hälfte bzw. auf über 57 Prozent. In Deutschland fielen die Zuwachsraten geringer aus, dafür wurde mit höheren Werten begonnen: Bei Frauen stieg der Anteil der übergewichtigen oder adipösen von fast 45 auf über 55 Prozent, bei den Männern von knapp 56 auf über 64 Prozent.

Über- und gleichzeitig Unterernährung

Jessica A. Kerr, eine der Co-Autorinnen der Analyse, fordert, an erster Stelle müsse die Vorbeugung von Fettleibigkeit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen stehen. Politische Maßnahmen müßten dabei gleich drei Probleme angehen: die Überernährung, die zu Übergewicht führe, die Unterernährung, die in vielen Ländern trotzdem noch herrsche, und den bei vielen Kindern zu beobachtenden Rückstand bei Wachstum und Entwicklung, der auf eine schlechte oder mangelhafte Ernährung zurückgehe.

Kerr schlägt vor, daß die betroffenen Länder zusammen mit der UNO eine nährstoffreiche Ernährung von Kindern und Jugendlichen sicherstellen und unterstützen und gleichzeitig »hochverarbeitete« Lebensmittel regulieren. Auch sollte es Gesundheitsprogramme für Mütter und Kinder geben, die zum Beispiel Schwangere zu einer gesünderen Ernährung und zum Stillen ermutigen. Kerr: »Wir müssen Abschied vom business as usual nehmen. Viele Länder haben nur ein kurzes Zeitfenster, um zu verhindern, daß eine viel größere Zahl von Menschen von Übergewicht zu Fettleibigkeit übergeht.«

Gesundes Essen teuer und schwer zu finden

Oft verhindert die vorherrschende kapitalistische Produktionsweise eine gesunde Ernährung. Die ist heute teuer und setzt Fachwissen voraus. Von Nestlé und Konsorten »hochverarbeitete« Lebensmittel enthalten viel billigen Zucker, Füllstoffe, Salz, Fett, künstliche Farbstoffe und diverse Geschmacksverstärker. Sie schaden unserer Gesundheit, nutzen aber der Lagerlogistik, also den global agierenden Multis. Das brachte der weitsichtige Dichter Peter Hacks (1928-2003) mit der Feststellung auf den Punkt, in der Marmelade imperialistischer Länder sei kein Obst, in ihrer Wurst kein Fleisch.