Luxemburg29. April 2021

Interview mit OGBL-Präsidentin Nora Back zum 1. Mai

»Wir setzen uns für einen sozialen Ausweg aus der Krise ein«

von Ali Ruckert

Erstmals seit vielen Jahren hat der OGBL an diesem 1. Mai wiederum zu einer Demonstration aufgerufen, zu welcher alle Schaffenden eingeladen sind teilzunehmen, und knüpft damit an eine lange Tradition der Arbeiterbewegung an.  Aus diesem Anlass führte die »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek« ein Interview mit OGBL-Präsidentin Nora Back.

Wie hat sich die Pandemie auf die Gewerkschaftsarbeit ausgewirkt?

Die Pandemie hatte von Beginn an große Auswirkungen auf die Arbeit der Gewerkschaft, weil wir uns wegen der Maßnahmen, die von der Regierung und der Chamber beschlossen wurden, um das Virus zu bekämpfen und die Gesundheit zu schützen, anders organisieren mussten, aber der OGBL war zu keinem Zeitpunkt im Lockdown.

Die Gewerkschaft wird mehr denn je gebraucht

Das war und ist bis heute wichtig, da die Gewerkschaft mehr denn je in unsicheren Zeiten gebraucht wird, und unsere Militanten trotz der Restriktionen in der Gesellschaft und in den Betrieben bei der Stange blieben.

Gerade wegen der Restriktionen mussten wir uns bei der individuellen Betreuung, aber auch bei der Arbeit in den Betrieben umorganisieren.

Hinzu kam, dass viele Lohnabhängigen wegen der Ansteckungsgefahr Angst  und Fragen zur Kurzarbeit, zu kollektivvertraglichen Abmachungen, zu Sozialplänen und Telearbeit und Homeoffice hatten, so dass  unsere Berufssyndikate und Personaldelegationen, die an vorderster Front kämpfen, alle Hände voll zu tun hatten und haben, weil ja auch während der Krise  Verhandlungen und Auseinandersetzungen mit dem Patronat fortgeführt und die Interessen der Schaffenden unter veränderten Bedingungen verteidigt werden müssen.

Auch auf nationaler Ebene mischen wir uns weiterhin ein, wenn es gilt, den richtigen Weg zu finden zwischen notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und Bestrebungen die Arbeitszeiten in verschiedenen Wirtschaftsbereich, wenn auch zeitlich beschränkt, zu verlängern. Trotz aller Hindernisse bestand beim OGBL immer der Wille, Kontakte mit dem Patronat, wenn auch auf Sparflamme, aufrechtzuerhalten und in den verschiedenen Gremien die Interessen der Schaffenden bei Fragen, die auf nationaler Ebene von Bedeutung waren, zu verteidigen und, wenn erforderlich, den nötigen Druck zu machen.

Dennoch belasten die gegenwärtigen Krisenumstände, denn die Gewerkschaft lebt bekanntlich von gemeinschaftlichen Überlegungen und kollektivem Handeln, und das Kollegiale kommt bei der Krise zu kurz.

Während der Corona-Krise verschärften sich die sozialen Auseinandersetzungen in manchen Betrieben und Wirtschaftsbereichen. Was sind die Gründe dafür?

In der Vergangenheit mussten wir uns während der Sitzungen unseres Nationalkomitees in der Regel mit ein oder zwei Betrieben oder Wirtschaftszweigen befassen. Inzwischen sind es bis zu einem Dutzend, denn in fast allen Wirtschaftsbereichen sehen sich die Lohnabhängigen vor große Probleme gestellt, oft aus unterschiedlichen Ursachen.

Das fing an im öffentlichen Bereich und dem Versuch, öffentliche Einrichtungen oder Dienstleistungen zu privatisieren, zum Beispiel im Schulwesen, im Sicherheitsbereich, in der Forschung und im Gesundheits- und Sozialbereich. Plötzlich spielten private Consulting-Firmen bei der Ausrichtung im Gesundheitsbereich eine Rolle und es gab und gibt immer noch Bestrebungen, einen Teil der Krankenhausinfrastruktur in kleine private Krankenhäuser auszulagern. Es gibt offensichtlich bei den Ärzten und anderen Dienstleistern im Gesundheitswesen das Bestreben, die Pandemie zu nutzen, um sich eine goldene Nase zu verdienen.

Es war und bleibt falsch, an der Gesundheit zu sparen

Ich möchte hier eines klarstellen: Der OGBL hat sich in der Vergangenheit immer kategorisch gegen Austerität, den Abbau von Betten, Sparmaßnahmen in den Krankenhäusern und gegen Privatisierungstendenzen ausgesprochen, und wir werden auch heute alles daransetzen, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Das alles sind Folgen einer neoliberalen Politik, die sich als ein Desaster erwiesen hat, auch in Luxemburg

Es war und bleibt falsch, an der Gesundheit zu sparen. Leider scheint es bis heute in gewissen Kreisen und auch in der Regierung keine Einsicht zu geben, dass Fehler gemacht wurden. Der OGBL bleibt jedenfalls bei seiner Ansicht, dass massiv in das öffentliche Gesundheitswesen investiert werden muss und wird sich auch dafür einsetzen.

Kompliziert bleibt die Entwicklung in vielen Bereichen der Privatwirtschaft. Im Reinigungsbereich zum Beispiel, der als systemrelevant erkannt wurde, bekommen die Reinigungskräfte keine Anerkennung, obwohl sie in der Vergangenheit und bis heute schwierige Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne haben.

Als Gewerkschaft erwarten wir daher von den Reinigungsfirmen, die zu den Krisengewinnern gehören, dass sie die Bemühungen der Lohnabhängigen aus dem Reinigungssektor anerkennen, indem sie die gewerkschaftlichen Forderungen erfüllen, welche im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen und gelegentlich von Protestaktionen gestellt wurden, die von unserem Berufssyndikat mit Erfolg durchgeführt wurden, damit der Sozialkonflikt kurzfristig beigelegt werden kann.

Es stimmt, dass auch der Handel wirtschaftlich schwer gelitten hat, und es ist nicht auszuschließen, dass das Schlimmste noch kommen könnte. Auch in dem Bereich gibt es jedoch Krisengewinner, darunter der Internet-Handel und die Supermärkte.

Unser Syndikat im Bereich Handel hat bekanntlich eine ganze Reihe Vorschläge unterbreitet, die im Interesse des Handels und der Beschäftigten sind, darunter einen Branchenkollektivvertrag für Geschäfte mit weniger als 50 Beschäftigten, einen »Plan de maintien dans l’emploi« für den Textil- und Modebereich und das Einfrieren der Mieten für Geschäftsflächen für die nächsten drei Jahre.

Allerdings wissen wir uns bei Angriffen auf die Interessen der Lohnabhängigen zu wehren, auch wenn versucht wird, die Sonntagsarbeit über das gesetzliche Maß hinaus auszuweiten, das Patronat sich aber kategorisch weigert, Gegenleistungen für die Beschäftigten zu erbringen.

Im Horeca-Bereich, der unter der Corona-Krise schwer gelitten hat, befürworten wir, dass den Betrieben seitens des Staates angemessen finanziell unter die Arme gegriffen wird, damit sie überleben können, aber es muss parallel dazu auch eine Beschäftigungsgarantie für die Lohnabhängigen geben. Das Gleiche gilt für die Veranstaltungsbranche.

Kompliziert bleibt die Entwicklung auch im Industriebereich, wo wir sehen, dass die Coronakrise von manchen Unternehmen als Vorwand genutzt wird, um Arbeitsplätze abzubauen, zu restrukturieren oder bisherige kollektivvertragliche Errungenschaften in Frage zu stellen oder rückgängig machen. Ein Beispiel dafür ist das Unternehmen Eurofoil, wo der OGBL, zusammen mit den Personalvertretern und der Belegschaft den Kampf führt, um zu verhindern, dass der bisherige Kollektivvertrag zerschlagen wird und um bessere Arbeits- und Lohnbedingungen durchzusetzen.

Luxemburg ist inzwischen das Land in der Europäischen Union, in dem der Anteil der Menschen, die arbeiten und trotzdem arm sind (»working poor«) im Vergleich zur Gesamtzahl der Lohnabhängigen am höchsten ist. Wie kann oder muss das geändert werden?

Es ist ein regelrechter Skandal, dass in einem der reichsten Länder so viele Menschen, die tagtäglich unter schwierigen Bedingungen arbeiten, dennoch fortwährend einem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Auch das allgemeine Armutsrisiko steigt weiter. Besonders kritisch ist die Situation auch für viele Alleinerziehende.

Der eigentliche Skandal ist dabei, dass von politischer Seite nichts unternommen wird, um gegenzusteuern, obwohl die Krise die Situation weiter verschärft und immer mehr arbeitende Menschen zu den Verlierern der Krise gehören.

Die Kaufkraft muss gestärkt werden

Damit der Weg aus der Krise sozial gestaltet werden kann, muss die Kaufkraft gestärkt werden, auch um die Binnennachfrage zu stärken und die Wirtschaft anzukurbeln, der Mindestlohn muss um 10 Prozent erhöht werden und es muss generell zu Lohnanpassungen kommen, auch über bessere Kollektivverträge und sektorielle Kollektivverträge. Daher drängt sich auch eine Reform des Kollektivvertragsgesetzes auf.

Dringend, um nicht zu sagen sofort müssen die Familienzulagen, die seit 2006 nicht mehr an die Inflation angepasst wurden und seither 20 Prozent an Wert einbüssten. erhöht und wiederum an den Index gebunden werden.

Die Regierung hatte am 28. November 2014 eine entsprechende Abmachung mit den Gewerkschaften unterschrieben, dann aber Wortbruch begangen.

Nun wurde seitens der Familienministerin wiederum eine Reindexierung der Familienzulagen in Aussicht gestellt, allerdings erst zum 1. Januar 2022.  Der OGBL fordert, dass sofort eine Anpassung der Familienzulagen, retroaktiv auf das Jahr 2014 berechnet, in Höhe von 7,7 Prozent erfolgt.

Ein weiteres Mittel, um die Lohnabhängigen zu entlasten, sind Steuerermäßigungen und eine Erhöhung der Steuerkredite, insbesondere des Steuerkredits für Alleinerziehende.

Um die Folgen der Krise zu bezahlen drängt sich in unseren Augen zudem eine Krisensteuer für die Krisengewinner auf, und die sind nicht bei den Lohnabhängigen zu finden.

Eines der Ziele des OGBL ist die Vollbeschäftigung. Welche Maßnahmen müssen erfolgen, um dahin zu gelangen? Für welche Arbeitszeitverkürzung tritt die Gewerkschaft ein?

Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zieht sich wie ein roter Faden durch alle Kongressprogramme des OGBL. Daran halten wir bis heute fest und fordern Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich, auch eine gesetzlich verankerte 6. Urlaubswoche. Mit dem Teilerfolg, den wir durch die Einführung eines zusätzlichen Feiertags erzielten, geben wir uns nicht zufrieden.

Für Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich

Arbeitszeitverkürzung kann auch ein Mittel sein, um Arbeitsplätze zu retten, Massenentlassungen zu verhindern und Langzeitarbeitslosigkeit einzudämmen.

Dank dem OGBL wurde in dieser Krise Arbeitsplatzabbau in vielen Bereichen verhindert. Das ist unsere erste Aufgabe. Dabei helfen zum Beispiel auch Pläne zum Beschäftigungserhalt und zusätzliche Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen.

Der OGBL drängt auch auf gesetzliche Reformen, zum Beispiel was Sozialpläne, Pläne zum Beschäftigungserhalt und Konkurse angeht. Solche Reformen sind dringend erforderlich, um den Lohnabhängigen einen besseren Schutz für bessere Rechte zu gewähren.

Investiert werden muss auch verstärkt in neue Berufe, welche infolge der der Digitalisierung und der ökologischen Transition geschaffen werden können. Parallel dazu müssen aber auch verstärkt die Handwerksberufe attraktiver gestaltet werden durch bessere Löhne und Arbeitsbedingungen.

Hier gilt es insbesondere, der Prekarität bei jungen Menschen entgegenzuwirken und dafür zu sorgen, dass ihnen eine gute Ausbildung, feste Arbeitsplätze und ordentliche Löhne gewährleistet werden. Ansonsten riskieren wir eine soziale Katastrophe, denn mit immer mehr Zeitverträgen und prekären Lohn- und Arbeitsbedingungen wird ihnen die Zukunft verbaut bleiben. Genau das will der OGBL verhindern.

Der OGBL engagierte sich in jüngster Vergangenheit verstärkt gegen die Wohnungsnot. Was sind seine Vorschläge, um die katastrophale Lage zu verbessern und die Wohnungsnot zu überwinden?

Die Immobilienkrise ist zu einer sozialen Krise geworden und die aufeinanderfolgenden Regierungen haben nichts getan, um einerseits die Baulöwen und Spekulanten zu stoppen und andererseits genügend bezahlbare Wohnungen zu schaffen.

Konkrete Maßnahmen gegen die Wohnungsnot umsetzen!

Wir haben es hier eigentlich mit einer regelrechten Kapitulation zu tun, denn die von der Regierung hochgelobten Reformen über den Wohnungspakt und den Mietvertrag sind kosmetische Reformen, die kein Problem lösen werden, weshalb der OGBL die Koalition aufgefordert hatte, die Gesetzesentwürfe zurückzuziehen und zu überarbeiten.

Zu den Forderungen, welche die Gewerkschaft stellt und die sie in einer Koalition vielen anderen Organisationen durchsetzen möchte, gehört die Einführung einer progressiven Grundsteuer und eine nationale Bodenrückhaltungssteuer gegen die Spekulation, eine Deckelung der Grundstückspreise, eine wirksame Mietpreisbremse, eine Reform des Mietzuschusses, verstärkte Beihilfen für Energieeffizienz, eine deutliche Erhöhung des Angebots an Sozialwohnungen in öffentlicher Hand.

Der OGBL wird an diesem 1. Mai nach langen Jahren wieder auf der Straße manifestieren. Was sind die Losungen, unter denen die Gewerkschaft am traditionellen Kampftag der Arbeiterbewegung in Esch/Alzette manifestieren wird?

Der 1. Mai war noch immer ein wichtiger Termin für die Gewerkschaft. Eine Veranstaltung in Neumünster, wie das während der vergangenen Jahre der Fall war, war nicht möglich, ein digitaler 1. Mai, wie im vergangenen Jahr ist unbefriedigend, so dass eigentlich nur die Möglichkeit blieb, an eine lange Tradition der Gewerkschaftsbewegung anzuknüpfen und, im Respekt der notwendigen Gesundheits- und Sicherheitsauflagen, auf die Straße zu gehen.

Zu unseren Losungen gehören ein sozialer Ausweg aus der Krise, der Erhalt der Arbeitsplätze, mehr Kaufkraft, bezahlbare Wohnungen, eine gute soziale Absicherung für alle, Mitbestimmung,. Demokratie und Frieden.