Köhler lügt
Deutscher Bundespräsident machte bei Festakt »20 Jahre Friedliche Revolution« in Leipzig Gerüchte über Panzer und Schießbefehl zu Tatsachen
Zu Blut hat der Bundeswehr-Reserveoffizier Horst Köhler aus unbekannten Gründen eine besondere Beziehung. Am Freitag hielt der Bundespräsident in Leipzig beim Festakt »20 Jahre Friedliche Revolution«, eine Rede, in der er u.a. über die Situation während der Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 in der sächsischen Metropole behauptete: »Vor der Stadt standen Panzer, die Bezirkspolizei hatte Anweisung, auf Befehl ohne Rücksicht zu schießen. Die Herzchirurgen der Karl-Marx-Universität wurden in der Behandlung von Schußwunden unterwiesen, und in der Leipziger Stadthalle wurden Blutplasma und Leichensäcke bereitgelegt.«
Am Wochenende bekam sogar der bundesdeutsche Qualitätsjournalismus mit, daß da jemand dick aufgetragen hatte. Nach Recherchen des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) hieß es am Sonnabend in verschiedenen Medien, diese Darstellung sei nicht korrekt. Der Bundespräsident habe seine Angaben wahrscheinlich aus einem bekannten Buch, das teils falsche Fakten enthalte. Gemeint ist offenbar der Band »Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90« des »Historikers« Michael Richter, eines Mitarbeiters des »Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung« in Dresden, das in diesem Jahr im Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschien. Der »Tagesspiegel« am Sonntag berichtete, daß Richter sich am Samstag als »Quelle der präsidialen Irrtümer outete«. Er habe sich in seiner Studie auf einige »ungenaue Zeitzeugenaussagen verlassen«. Das habe Köhler möglicherweise aufgegriffen.
Der frühere Pfarrer der Nikolaikirche Leipzig – einem Ausgangspunkt der Montagsdemonstrationen –, Christian Führer, setzte den Köhlerschen Lügen noch eins drauf. Er erklärte am Samstag gegenüber der Agentur dpa die Diskussion um die Präsidentenrede sei »völlig unangemessen« und fügte hinzu: »Die Lage war ja so, daß geschossen werden sollte.« Der ehemalige Staatschef der DDR und Generalsekretär der SED, Egon Krenz, reagierte am Sonntag mit der Erklärung: »Ich bin betroffen, daß der Bundespräsident in seiner Rede zum 9. Oktober aus Gerüchten, die 1989 kursierten, nachträglich Tatsachen macht. Die DDR-Führung hat weder Panzer vor die Stadt Leipzig beordert noch hat sie Befehle zum Schießen auf Demonstranten gegeben. Das kann ich auf meinen Eid nehmen. Wer anderes sagt, legt falsch Zeugnis ab.«
Köhler hat bereits mehrfach mit verlogenen Behauptungen z.B. über einen angeblich von der DDR-Führung selbst eingestandenen wirtschaftlichen Bankrott nur im Osten Aufsehen erregt. Die amtliche DDR-Schlußbilanz der Bundesbank von 1999, die Zahlungsfähigkeit bescheinigte, erwähnt der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds öffentlich nicht.
Wenig bekannt dürfte auch eine Bemerkung Köhlers sein, die der Publizist Michael Jürgs 1997 veröffentlichte. Danach hatte der damalige Finanzstaatssekretär Köhler als treuer Gefolgsmann der Kohlschen Anschlußpolitik vor den Bundestagswahlen im Herbst 1990 alle Pläne zum massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen in Ostdeutschland geheimgehalten. Am 21. Januar 1991 traf sich dann der Treuhand-Präsidialausschuß im Kölner Hotel Exelsior. Erst dort habe Köhler verlangt, in der ehemaligen DDR-Industrie müsse »auch mal gestorben« werden, weil man nicht alle durchschleppen könne. Blut müsse fließen, natürlich nur im übertragenen Sinne.
Arnold Schölzel, Berlin

