Die unauffällige Kulturhauptstadt
Als Mitte April ein Journalist des Telegraph ein verheerendes Fazit über Esch/Alzette als Kulturhauptstadt 2022 schrieb, schlug dies naturgemäß hohe Wellen, wie immer dann, wenn etwas von außerhalb an oder in Luxemburg kritisiert wird. Über den Ton solcher Artikel kann man immer streiten aber den Kern der Kritik kann man durchaus näher beleuchten.
Seit der Vergabe der »Europäischen Kulturhauptstadt« im Jahre 2017 an Kaunas, Novi Sad und eben Esch/Alzette wurde mit großem Aufwand und unter dem ein oder anderen internen Gewitter die Werbetrommel für die Feierlichkeiten geschlagen. Auch die Corona-Pandemie sollte dem keinen Einhalt gebieten. Während die offizielle Eröffnungsfeier auf dem altehrwürdigen Escher Rathausplatz eher gediegen und in der aufstrebenden Trabantenstadt Belval schon etwas bunter aber noch unter einigen Schutzmaßnahmen über die Bühne gingen, sollte nun der Weg frei sein in einen Sommer der Kulturhauptstadt.
Sollte man jedenfalls meinen. Doch irgendwie bekommt man selbst bei täglicher Anwesenheit in der Minettmetropole nicht so richtig mit, sich in einer der amtierenden Kulturhauptstädte zu befinden. Schnell waren nach der erwähnten Eröffnungsfeier im Februar die Tribünen wieder abgebaut und der Wochenmarkt bekam seinen Rathausplatz zurück. Bis auf ein paar große Fotografien und hier und da ein Logo von »Esch22« im Stadtbild scheint seither alles seinen gewohnten Gang zu gehen.
Mancher würde es vermutlich ohne eigens angebrachte Digitalanzeigen, wie etwa neuerdings vom Neudorf kommend kurz vor der place Norbert Metz installiert, gar nicht bemerken. Zwei Tage wurde übrigens in dieser Woche gewerkelt, ohne sich dafür zu interessieren, daß die Parkleit-Anzeige am selben Pfosten defekt ist. Ungünstig auch für Auswärtige im Escher Verkehrsdschungel.
Als sich das Datum der Eröffnung langsam näherte, schaute man fast täglich, was sich vielleicht im Stadtbild noch tun mag. Große Events bringen ja auch immer mit sich, daß sich noch ein bißchen aufgehübscht und in Schale geschmissen wird. In der Woche vor der Eröffnung wurden immerhin alle Dellen in der Fußgängerzone im direkten Umfeld des Rathausplatzes noch hurtig ausgebessert.
Selbstverständlich soll den Organisatoren nicht unterstellt werden, sich nicht reingekniet zu haben, doch bestätigt sich beim Blick auf das alltägliche Esch der Gedanke, daß die meisten Menschen hier eben andere Probleme und Interessen haben und mit der zur Kulturhauptstadt aufgelegten Maske möglicherweise wenig anfangen können. Sicherlich ist es im »Schmelztigel« Luxemburg mit seiner diesbezüglichen Hochburg im Süden auch schwierig, jeden zu erreichen.
Fakt ist allerdings, daß es ein wenig billig anmutet, wenn jedes Konzert und jede Kulturveranstaltung, die es auch vor 2022 bereits jährlich wiederkehrend gab, als ein Event im Rahmen der aktuellen Feierlichkeiten vereinnahmt wird. Das Jazz-Festival in Düdelingen gibt es seit Jahren erfolgreich, genau wie die dortige Fête de la Musique, das Blues-Festival in Differdingen oder die Nuit de la Culture in Esch. Genauso ergeht es auch den bestehenden Wegen auf denen rechtzeitig vor dem Kulturjahr der »Minett Trail« angelegt wurde oder dem Grubenmuseum in Rümelingen. Viele Konzerte, die in diesem Sommer endlich wieder unter normalen Umständen stattfinden können, sind teilweise aus dem Jahr 2020 hierher verschoben worden. Diese auch noch mit in das Paket zu schnüren, wirkt dann vollends bizarr.
Von Langeweile, wie es im angesprochenen Artikel heißt, kann in Esch natürlich absolut keine Rede sein. Einzig von diesem Kulturjahr hat mancher sich vielleicht doch etwas mehr versprochen.