Die Entwicklungsländer und wir
Der Premier ist sauer. Da hatte er sich jahrelang solche Mühe gegeben, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu erwähnen, wie engagiert, nachhaltig und effektiv das kleine Luxemburg die armen Entwicklungsländer unterstützt. Und dann kommt so ein hergelaufener Gelehrter und erzählt den Luxemburger Journalisten, daß der Finanzplatz Luxemburg den Entwicklungsländern ungleich mehr Geld entzieht als der Staat Luxemburg andererseits spendieren kann.
Man kann den Premier ja verstehen. Es ist nicht leicht, wenn man so konkret mit der Wahrheit konfrontiert wird. Da bleibt dem Entwicklungshelfer Juncker keine andere Wahl, als sich lautstark dagegen zu wehren. Am besten mit einer deutlichen Bemerkung in seiner Rede zum Regierungsprogramm. Da hören es viele Leute, und der Kritisierte kann sich nicht dagegen wehren.
Vielleicht sollte man sich die Vorwürfe ein wenig näher ansehen. Ja, der Premier hat recht. Es gibt nicht viele Staaten in der Welt, die eine solche Menge Geld für Projekte in Entwicklungsländern ausgeben, wie es Luxemburg tut. Und es sollte auch lobend erwähnt werden, daß im Regierungsprogramm eindeutig formuliert wurde, daß auch weiterhin 1 Prozent (in Worten: ein Prozent) des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Entwicklungshilfe bereitgestellt werden soll. Die reichen Länder des Westens, von denen nicht wenige auch aufgrund der Ausbeutung von Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika überhaupt erst zu diesem Reichtum gekommen waren, hatten sich irgendwann einmal zu diesem Prozentsatz verpflichtet. Allerdings halten sich die meisten nicht daran – Luxemburg gehört zu den wenigen Staaten, die das Versprechen einlösen.
Und der »Cercle de Coopération« hat ebenso recht, wenn er darauf hinweist, daß die Ausbeutung der Entwicklungsländer munter weitergeht und auch Luxemburg mit von der Partie ist. Denn Tatsache ist leider auch, daß es in vielen der betroffenen Länder eine selbsternannte Elite gibt, die sich auf Kosten der Mehrheit des eigenen Volkes nicht nur bereichert, sondern in einigen Fällen geradezu unermeßlichen Reichtum gescheffelt hat. Daß diese Leute das Geld in sicheren Banken in Europa oder auf den Bahamas parken, ist ein offenes Geheimnis. Und es kann durchaus sein, daß allein in Luxemburg rund 2,5 Milliarden Dollar vagabundieren, die aus diesen Quellen stammen. Genaue Summen werden wir – Dank sei dem Bankgeheimnis – wohl nicht erfahren.
Bleibt vielleicht anzumerken, daß rund 1 Prozent vom BIP demnächst auch die Summe sein wird, mit der die Luxemburger Steuerzahler die hiesigen Banken mästen werden, denn wie der Premier in seiner Rede verkündet hat, wird dieser Betrag in wenigen Jahren fällig, um allein die Zinsen für die aufgenommenen Schulden des Staates zu begleichen.
Schulden, die beständig weiter anwachsen, auch deshalb, weil sich unserer Regierung »die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit« auf die Fahnen geschrieben hat. Ein Ziel, das auch mit militärischen Mitteln erreicht werden soll. Das geht aus dem klaren Bekenntnis zur NATO und zur EU-Armee hervor – aber auch aus dem Festhalten am »Lissabon-Vertrag« mit seiner Verpflichtung zur Aufrüstung. Laut Juncker soll der »Reformvertrag« es der EU ermöglichen, »besser, méi séier a global méi kohärent kënnen ze agéieren«.
Es kommen interessante Zeiten auf uns zu. »Muenches wäert a Fro gestallt musse ginn«, sagt der Premier. Wie recht er doch hat!
Uli Brockmeyer