Luxemburg16. März 2021

Wie kommt der Strom in die Steckdosen?

Das Stromnetz, das unbekannte Wesen

von Jean-Marie Jacoby

Für den ganz normalen Haushalt kommt der Strom aus der Steckdose. Wie er dort hineinkommt, ist ihm ziemlich egal, schließlich hat er darauf auch überhaupt keinen Einfluß. Problematisch wird solches Nicht-Wissen jedoch bei Umweltverbänden und allen, die politische Entscheidungen treffen oder beeinflussen. Denn physikalische Gesetze gelten auch für jene, die sie nicht kennen oder nicht verstehen.

Luxemburg ist bis auf die Stahlindustrie ein Wurmfortsatz des deutschen Stromnetzes, weswegen es für uns Bedeutung hat, was dort geschieht. Das deutsche Netz steht allerdings nicht für sich allein, es ist Teil des europäischen Verbundnetzes, das über die EU hinausgeht und bis in die Türkei reicht. Dieses Netz funktioniert mit Wechselstrom und einer einheitlichen Netzfrequenz von 50,0 Hertz (abgekürzt Hz).

Damit die Netzfrequenz gleich bleibt, muß die Menge des jeweils abgenommen Stroms mit derselben Menge erzeugten Stroms im selben Augenblick deckungsgleich sein. Das ist natürlich nur theoretisch möglich, in Wirklichkeit führt die Abnahme und Erzeugung zu ständigen kleinen Über- und Unterangeboten, wodurch die Frequenz nach oben oder unten ausschlägt. Idealerweise sollte das im Rahmen von 0,15 Hz bleiben, wenn es über 0,2 Hz hinausgeht, wird es problematisch. Es gibt gestaffelte Regelmechanismen, die bis zur Abschaltung von Netzteilen gehen, um einen totalen Zusammenbruch zu  verhindern.

Die Messung der Netzfrequenz erfolgt ständig und automatisch. Sie wird im Internet gezeigt an der Adresse https://www.netzfrequenzmessung.de/index.htm, wo auch der automatisierte Einsatz der Menge der jeweiligen Primärregelleistung angezeigt wird.

Um das Stromnetz aufrecht zu halten, haben unterschiedliche Arten von Kraftwerken unterschiedliche Funktionen, die nicht austauschbar sind.

Fakten sind Fakten

Das Netz baut auf den Grundlastkraftwerken auf. Das sind Braunkohle- und Atomkraftwerke, die ständig in ihrem optimalen Lastpunkt von 3.000 Umdrehungen pro Minute laufen. Jede Abweichung davon, die über 12 Umdrehungen hinausgeht, würde ihren Wirkungsgrad extrem verschlechtern und das Risiko von Schäden an der Turbine schaffen, weshalb sowas zur automatischen Abschaltung führt. Da diese Kraftwerke auch als Taktgeber für alle anderen funktionieren, führt eine Abschaltung zum Blackout.

Grundlastfähig sind auch Biogas- und Wasserlaufkraftwerke insoweit sie ständig gleich laufen, werden aber zur Zeit nicht als Taktgeber verwendet, weil sie dafür nicht stark genug sind.

Wer also Braunkohle- und Atomkraftwerke außer Betrieb setzen will, hat ein Problem zu lösen – und zwar vorher, nicht danach.

Als regelbare Mittellastkraftwerke arbeiten Steinkohle- und Gas-Dampf-Kraftwerke (wie die abgebaute Twinerg-Turbine in Esch/Raemerich), wobei jedes Land verpflichtet ist, ständig eine gewisse Menge Regelenergie vorzuhalten für Lastwechsel im Netz. Die BRD etwa, an der Luxemburg hängt, muß selbst dann, wenn eines der am Regelsystem beteiligten Kraftwerke ausfällt, immer noch 3.000 MW zur Verfügung stellen können. Weil diese Kraftwerke ständig am Netz sind, wenn auch nicht mit ihrer Maximalleistung, sind sie innerhalb weniger Sekunden in der Lage, mehr oder weniger Strom einzuspeisen.

Nähert sich die Nachfrage einem kritischen Punkt der Regelfähigkeit der Mittellastkraftwerke, müssen die Spitzenkraftwerke zugeschaltet werden. Es sind dies Gaskraftwerke und Pumpspeicherkraftwerke (von denen eines in Vianden steht). Sie brauchen einige Minuten, um in Betrieb zu gehen, wonach dann die Mittellastkraftwerke die Erzeugung zurückfahren können für die nächsten Leistungsspitzen. Pumpspeicherkraftwerke sind dabei besonders wertvoll, da sie bei Überangebot von Strom diesen übers Pumpen abarbeiten können – natürlich im vorhandenen Rahmen der installierten Pumpleistung. Ist mehr überschüssiger Strom da und läßt sich die Erzeugung bei den Mittellastkraftwerken nicht schnell genug runterfahren, muß der Strom blitzartig über die Grenze exportiert werden. Dafür müssen Netzbetreiber immer öfter zahlen, weswegen sie größtes Interesse daran haben, derartige Situationen zu vermeiden.

Wie wir sehen soll beim Ausstieg aus fossilen Energiequellen das Grundgerüst, auf dem das Stromnetz heute steht, abgerissen werden. Dafür sollen Öko-Kraftwerke auf Basis der erneuerbaren Quellen Sonne, Wind, Biogas und Wasser verstärkt werden. Allerdings hat das bei den grundlastfähigen Biogas- und Wasserlaufkraftwerken enge Grenzen: viel mehr geht da in den wenigsten Ländern. Windturbinen und Photovoltaik sind aber von Wetter und Tageszeit abhängig. Das bringt demnach nicht weniger, sondern mehr Schwankungen im Netz.

Da die Wechselrichter, mit dem Windturbinen und Photovoltaikanlagen ihren Strom ins Netz einspeisen, den aktuellen Frequenzwert abfragen und mit exakt dem einspeisen, schafft das bei sinkenden Werten Zusatzarbeit für die Mittellastkraftwerke. Da die Wechselrichter bei 50,2 Hz abschalten, droht das bei einer Multiplikation der Anlagen zu einem zu raschen Abfall der Frequenz zu führen, die so schnell nicht ausgleichbar wird.

Wer nicht für eine Lösung dieser Probleme sorgt, bevor weitere Anlagen ausgeschaltet werden im Grund-, Mittellast- und Spitzenkraftbereich, sorgt für Netzzusammenbrüche. Über mögliche Lösungen berichten wir demnächst.