Ausland

Der transpazifische Kalte Krieg

Die NATO baut ihre Zusammenarbeit mit Australien weiter aus. Dies ist das Ergebnis von Gesprächen, die NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 7. und 8. August in der australischen Hauptstadt führte. Laut Stoltenberg zielt die Kooperation insbesondere darauf ab, sich in der zunehmenden Großmächterivalität zu positionieren – gegen Rußland, vor allem aber gegen China.

Gegen Rußland

Strategische Überlegungen, die hinter den Plänen stehen, die Aktivitäten der NATO systematisch in die Asien-Pazifik-Region auszudehnen, hat kürzlich exemplarisch der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), Karl-Heinz Kamp, beschrieben. Kamp konstatiert in einem Fachbeitrag zunächst, daß das westliche Kriegsbündnis sich seit 2014 in völlig offener Gegnerschaft zu Rußland positioniert – mit der Stationierung von Truppen in Polen und den baltischen Staaten ( »Enhanced Forward Presence« , EFP), der Aufstellung der NATO- »Speerspitze« ( »Very High Readiness Joint Task Force« , VJTF), gestrafften Entscheidungsprozessen innerhalb der NATO sowie gesteigerter Manövertätigkeit.

Auch die USA haben in jüngster Zeit, wie Kamp festhält, ihre gegen Rußland gerichtete militärische Präsenz in Osteuropa erheblich ausgebaut ; die von Präsident Barack Obama im Jahr 2015 gestartete, zunächst mit Mitteln im Wert von einer Milliarde US-Dollar ausgestattete »European Reassurance Initiative« (ERI), mit der der Ausbau von Militäreinrichtungen, Truppenrotationen sowie gemeinsame Kriegsübungen mit ost- und südosteuropäischen Streitkräften finanziert werden, ist von der Trump-Administration immer weiter aufgestockt worden und verfügt dieses Jahr, mittlerweile in »European Deterrence Initiative« (EDI) umbenannt, über einen Etat von 6,5 Milliarden US-Dollar.

Allerdings wird die gegenwärtige hochgradige Fokussierung der NATO auf den Machtkampf mit Rußland nach Einschätzung von Kamp nicht auf Dauer bestehen. Der BAKS-Präsident begründet dies mit einer doppelten Entwicklung. Zum einen, schreibt er, steigt China immer weiter auf und gerät dadurch perspektivisch »in die Position, auf Augenhöhe mit den USA zu agieren« . Zum anderen werde Rußland »in Amerika und Europa überwiegend als absteigende Macht angesehen« , die zahlreiche »entscheidende Schritte zur wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Modernisierung verpaßt« habe und weiterhin Einfluß verlieren werde : »Moskau wird ... immer weniger in der Lage sein, internationale Politik entscheidend in seinem Sinne zu gestalten« .

Werde Rußland nun aber von Washington langfristig »nicht mehr als globalstrategische Gefahr« gesehen, »dann sinkt die Bedeutung Europas als ‚unsinkbarer Flugzeugträger’ insgesamt« . Kamp hält es für durchaus wahrscheinlich, daß die USA ihre Truppen in Europa, vielleicht schon »in fünf oder zehn Jahren« , auf ein Minimum reduzieren und ihre militärischen Aktivitäten umfassend in die Asien-Pazifik-Region verlegen, um sich dort gezielt auf den Machtkampf gegen China zu konzentrieren.

Eine neue Kernaufgabe

In dieser Situation, urteilt Kamp, wird die NATO ihre globale Bedeutung nur bewahren können, wenn sie am Schwenk zum künftigen asiatisch-pazifischen Zentrum der Weltpolitik teilnimmt und »einen signifikanten Beitrag zur Einhegung chinesischer Machtansprüche leistet« . Dazu seien mehrere Schritte denkbar. Das Kriegsbündnis könne etwa zunächst schlicht »mehr Interesse an der Region zeigen« und dort womöglich »Verbindungsbüros ... einrichten« . Des weiteren könnten die europäischen NATO-Mitglieder Washington entlasten und sich »militärisch stärker in ihren Nachbarregionen engagieren – etwa vor den Küsten Afrikas oder im Indischen Ozean« . Langfristig würden zumindest »die großen europäischen Staaten« allerdings »nicht umhinkommen« , eigene »Fähigkeiten zur weitreichenden Machtprojektion vor allem im maritimen Bereich aufzubauen« . Dies gilt laut dem BAKS-Präsidenten übrigens »nicht nur aus der Perspektive der NATO, sondern auch aus der Sicht der EU« , wolle diese den Anspruch verwirklichen, Weltmacht ( »global player« ) zu sein. »Die Vorstellung, daß eine künftige NATO die Bekämpfung der Gefahren im asiatisch-pazifischen Raum als eine ihrer Kernaufgaben ansieht, mag aus heutiger Sicht für viele Bündnismitglieder unrealistisch scheinen« , räumt Kamp ein : »Allerdings hat sich bereits in der Vergangenheit gezeigt, wie schnell sich eine internationale Lage ändern kann.« 

Die NATO in Australien

Derartige Überlegungen bilden den Hintergrund für den jüngsten Vorstoß der NATO in Australien, einem verläßlich an der Seite des Westens verankerten, militärisch durchaus schlagkräftigen Land im Süden des asiatisch-pazifischen Konfliktgebiets. Das westliche Kriegsbündnis ist im Jahr 2005 offiziell in »Dialog und Kooperation« mit Canberra getreten und hat seitdem die Zusammenarbeit systematisch ausgebaut. 2012 verankerten beide Seiten ihre militärischen Kontakte in einer »Gemeinsamen Politischen Erklärung« ; 2013 folgte dann ein »Individuelles Partnerschafts- und Kooperationsprogramm« , auf dessen Grundlage die gemeinsamen Aktivitäten intensiviert werden, wobei alle zwei Jahre eine Überprüfung und Justierung der Schwerpunkte vorgenommen wird – so etwa bei einem Besuch von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in der australischen Hauptstadt.

Zeitweise ist in Canberra sogar schon ein etwaiger NATO-Beitritt diskutiert worden. Das Land stellt regelmäßig signifikante Truppenkontingente für NATO-Einsätze ; zur Zeit ist eine Beteiligung an der geplanten »Operation Sentinel« der USA zur Kontrolle der Gewässer im Mittleren Osten im Gespräch. Im aktuellen »Verteidigungs-Weißbuch« ( »Defence White Paper« ), das Canberra Anfang 2016 verabschiedet hat, ist die größte Aufrüstungsmaßnahme der australischen Seestreitkräfte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs skizziert.

Die Bundesrepublik Deutschland hat die NATO-Kooperation mit Australien schon vor einigen Jahren um eine bilaterale militärische Zusammenarbeit erweitert. Am 28. Januar 2013 unterzeichneten Vertreter beider Länder eine »Berlin-Canberra-Absichtserklärung über eine strategische Partnerschaft« , die unter anderem einen gemeinsamen »strategisch-politischen Dialog« sowie eine engere »Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich« vorsah. Über die Berliner Motive sagte der damalige Außenminister Guido Westerwelle, Australien sei ein »strategisches Sprungbrett in den asiatisch-pazifischen Raum« .

Mittelstreckenraketen nach Australien

Die immer engere Militärkooperation, die sich auch auf gemeinsame Auslandseinsätze bezieht, geht mit steigenden Exporten deutscher Waffenschmieden einher : Australien war 2016 siebtgrößter, 2017 fünftgrößter und 2018 bereits drittgrößter Käufer deutschen Kriegsgeräts.

Wie rasch die Spannungen in der Region eskalieren können, zeigen aktuell die Bemühungen der USA-Administration, dort Mittelstreckenraketen zu stationieren. Washington ist kürzlich unter dem Vorwand, Rußland verstoße angeblich gegen den INF-Vertrag, aus diesem ausgestiegen, um die Entwicklung von Mittelstreckenraketen, mit der es längst begonnen hatte und die inzwischen sogar getestet wurden, jetzt auch offiziell vorantreiben zu können. Anfang des Monats hielten sich nun USA-Kriegsminister Mark Esper sowie USA-Außenminister Mike Pompeo in Canberra auf, um die Stationierung der Raketen in Australien in die Wege zu leiten. Von dort aus könnten bestimmte Modelle chinesisches Territorium direkt erreichen.

Die chinesische Regierung hat deshalb angekündigt, sie werde Maßnahmen gegen jeden Staat in der Asien-Pazifik-Region ergreifen, der sich als Standort für USA-Mittelstreckenraketen zur Verfügung stelle und damit unmittelbar China bedrohe. Um chinesische Gegenmaßnahmen zu vermeiden, hat Australiens Premierminister Scott Morrison die USA-Forderung nach einer Stationierung der Raketen schroff abgelehnt : »Ich denke, ich kann darunter einen Schlußstrich ziehen.« Die Hoffnung trog : Inzwischen bestätigten USA-Quellen, Washington dringe auch weiterhin darauf, Mittelstrecken in der Region zu stationieren, und zwar bevorzugt in Australien. Auf den transatlantischen folgt nun womöglich ein transpazifischer Kalter Krieg.

German Foreign Policy

Australiens Premierminister Scott Morrison (r.) und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 7. August in Sydney (Foto : EPA-EFE/DEAN LEWINS)