Hehre Ziele oder Kreidefressen vor den Wahlen?
Als am Mittwochabend Vizepremierminister Etienne Schneider auf dem Neujahrsempfang der LSAP davon sprach, daß das aktuelle System der Lohnarbeitszeit einer Veränderung bedürfe, da staunte man anderswo sicher nicht schlecht, diese Äußerungen ausgerechnet vom wirtschaftsliberalsten Vertreter der »Sozialisten« zu vernehmen. Schneider nannte konkret die 40-Stunden-Arbeitswoche als das zu überdenkende System mit Blick auf eine kürzere Arbeitszeit für die Beschäftigten.
Viel mehr allerdings war an jenem Abend nicht herauszuhören. Sollte sich der Spitzenpolitiker der Sozialdemokraten tatsächlich auf die einstmals hehren Ziele der sozialistischen Partei besonnen haben oder besinnt er sich eigentlich vielmehr in die Zukunft, in Richtung 8. Oktober? Natürlich weiß man, daß die Chamberparteien traditionell versuchen, den Bürgern einzureden, daß nationale und Gemeindepolitik zwei komplett verschiedene paar Stiefel seien, doch die nationalen Wahlen im nächsten Jahr sind ja auch nicht mehr allzu weit entfernt.
Dabei weht gerade von Unternehmerseite in Luxemburg aktuell allen, die es in Sachen Arbeitszeitverkürzung wirklich ernst meinen, ein rauer Wind entgegen. Als brächte das Salariat ihre Herren geradezu an den Bettelstab, wird geheult, was das Zeug hält. »Flexibilisierung« und Beendigung der »starren 40-Stundenwoche« sind Schlagworte, die von dieser Seite eine völlig andere Intention haben, als von Gewerkschaftsseite: Es geht darum, die im Zuge des letzten kalten Krieges zähneknirschend zugestandenen Verbesserungen einzukassieren und mit möglichst gesetzlich unbegrenzten Arbeitszeiten mit mehr Ausbeutung zu höheren Profiten zu streben. Dabei hat Luxemburg aktuell bereits die längste Wochenarbeitszeit der EU mit durchschnittlich 41 Stunden. Allein im Vergleich zu 2013 arbeiten die Lohnabhängigen hierzulande bereits wöchentlich 20 Minuten länger.
Angesichts einer drastisch gestiegenen Produktivität in den vergangenen 50 Jahren und einer weiteren Steigerung durch die sogenannte »digitale Revolution«, die wohl einzig zu Gunsten des Patronats Verbesserungen bringen wird, dürfte bereits die Forderung nach der 35-Stunden-Woche als überholt und nicht mehr ausreichend anzusehen sein. Es muß darum gehen, den geschaffenen Wohlstand endlich gerechter zu verteilen und dazu gehören drastische Verkürzungen von Wochen- und Lebensarbeitszeit ohne finanzielle Einbußen. Dies schafft zudem Arbeitsplätze. Investitionen ins Personal allerdings sind dem Patronat traditionell ein Graus, manch hauchdünne Personaldecke weiß davon zu berichten.
Das PAN-Gesetz 1999, auf dessen süße Verlockungen damals sogar gestandene Gewerkschafter hereingefallen waren und das am Ende einzig und ausschließlich dem Patronat zu Diensten war mit seinen Möglichkeiten etwa, durch einen Arbeits-Organisationsplan Arbeitszeiten zu dehnen und Neueinstellungen zu vermeiden, sollte uns allen als Warnung erhalten bleiben.
Wenn die Gedanken des Vizepremiers tatsächlich ernsthaft gemeint waren, dann sei soviel gesagt: Weitere Zugeständnisse seitens der Vertreter des Salariats darf es in diesem Zusammenhang nicht geben. Ein gesundes Mißtrauen auf Basis von Erfahrungen aus vergangenen Tagen ist also angebracht. Jeder Gedanke in die richtige Richtung allerdings dürfte auf härtesten Widerstand der Unternehmer treffen.
Christoph Kühnemund