Für Marx war Frankreich ein »zutiefst politisches Land«
Ausstellung »Marx en France« in Montreuil über wechselseitige Bindungen
Marx in Frankreich« ist der Titel einer Ausstellung, die am vergangenen Wochenende, wenige Tage nach seinem 140. Todestag, im »Museum für lebendige Geschichte« in der Pariser Arbeitervorstadt Montreuil eröffnet wurde. Dabei erinnerte Professor Jean-Numa Ducange von der Universität Rouen, ein Spezialist der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts, der für die wissenschaftliche Leitung der Ausstellung verantwortlich und Herausgeber eines gleichnamigen Buches ist, an die Beisetzung von Marx 1883 auf dem Londoner Highgate-Friedhof. Dort nannte ihn sein jahrzehntelanger Freund Friedrich Engels »den größten lebenden Denker«, der »aufgehört hat zu denken«. Gleichzeitig sprach Engels die prophetischen Worte: »Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk!« Wie zutreffend das ist, davon zeugt auch diese Ausstellung, deren erster Teil dem Leben und Werk von Karl Marx gewidmet ist.
Für Karl Marx, der 1818 in Trier in einer weltoffenen bürgerlichen Familie geboren und aufgewachsen ist, war die Erinnerung an die Französische Revolution von 1789 schon in frühesten Jahren prägend für seine Haltung zur Geschichte und den Kräften, die sie beeinflußten und gestalteten. Die Revolution von 1830 verfolgte er als Zwölfjähriger gebannt anhand von Zeitungsberichten. »Frankreich ist ein zutiefst politisches Land«, stellte er als Student fest.
Als sich nach dem Jura- und Philosophiestudium die Hoffnung auf eine akademische Laufbahn zerschlug, da die preußische Regierung in ihm den Kopf der oppositionellen Junghegelianer sah, wechselte Marx zum Journalismus. Als Chefredakteur der in Köln erscheinenden liberalen »Rheinische Zeitung« befaßt er sich erstmals mit wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Als die »Rheinische Zeitung« 1843 verboten wurde, verließ Marx mit Jenny, die er wenige Tage zuvor geheiratet hatte, Preußen in Richtung Frankreich. So wollte er der Zensur entfliehen, die in den deutschen Kleinstaaten und ganz besonders in Preußen liberale und republikanische Ideen bekämpfte.
Zu dieser Entscheidung trug wesentlich bei, daß ihm Arnold Ruge anbot, hier mit ihm zusammen die »Deutsch-Französischen Jahrbücher« herauszugeben. In Paris, das er als »Zentrum des sozialistischen Denkens« erlebte, kam Karl Marx mit anderen emigrierten deutschen Intellektuellen, aber auch mit vielen Handwerkern und Arbeitern in Verbindung. Seinerzeit waren die Deutschen am zahlreichsten unter den ausländischen Exilanten.
Bedeutsam für sein weiteres Leben war in Paris die Begegnung mit dem ganz aus der Art geschlagenen Fabrikantensohn Friedrich Engels, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft und die gemeinsame politische, journalistische und wissenschaftliche Arbeit verbinden sollten. Zusammen mit Friedrich Engels verfaßte er in diesen Jahren die Schrift »Die heilige Familie«. Wichtig war ihm auch die Freundschaft mit dem 20 Jahre älteren Heinrich Heine, der bereits seit 1831 als Emigrant in Paris lebte und der dank seiner anerkannten Position in der Pariser Gesellschaft über vielfältige Beziehungen verfügte und Marx mit interessanten Menschen in Kontakt bringen konnte. Andererseits wurden Heines Gedichte unter dem Einfluß von Marx in dieser Zeit politisch bewußter und kritischer.
Von der Zeitschrift »Deutsch-Französische Jahrbücher« erschien allerdings nur eine, ausschließlich von deutschen Autoren verfaßte Doppelnummer Anfang 1844. Von Karl Marx stammten darin die Schriften »Zur Judenfrage« und »Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«, von Engels die »Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie«. Zu weiteren Autoren zählten Ludwig Feuerbach und Michail Bakunin, während Heinrich Heine ein Gedicht beisteuerte. Namhafte Franzosen wie Louis Blanc, Alphonse de Lamartine und Pierre-Joseph Proudhon, die zunächst ihre Mitarbeit zugesagte hatten, hielten nicht Wort und lieferten keine Artikel, nicht zuletzt weil sie sich am rigorosen Atheismus von Marx und Ruge stießen.
Nachdem ein großer Teil der Auflage dieser ersten Nummer an der französisch-preußischen Grenze konfisziert worden war und Ruge Honorare schuldig blieb, kam es zwischen den beiden Herausgebern zu ernsten geschäftlichen, aber vor allem ideologischen Differenzen. Ruge blieb der hegelschen Philosophie und der bürgerlichen Demokratie verhaftet, während sich Marx intensiv mit politischer Ökonomie beschäftigte und durch die Auseinandersetzungen mit den französischen, immer noch »proudhonistischen« Sozialisten einen eigenständigen, kämpferischen und viel konsequenteren Standpunkt entwickelte. Seiner eigenen Einschätzung nach ist er »in dieser Zeit zum Kommunisten geworden«. Diese wichtige Periode im Leben von Karl Marx wird in der Ausstellung sehr lebendig mit Fotos, Briefen, Zeitungsartikeln, Broschüren und Büchern illustriert.
Auf Drängen der preußischen Regierung wurde Karl Marx 1845 aus Frankreich ausgewiesen. Er ging mit der Familie – in Paris war seine erste Tochter Jenny geboren worden – zunächst nach Brüssel. Hier spielte er eine führende Rolle bei der Entstehung der ersten Internationale, für die er 1848 zusammen mit Friedrich Engels das »Manifest der Kommunistischen Partei« verfaßte. Doch auch von Brüssel aus verfolgte er intensiv die Entwicklung der sozialistischen Ideen und der Arbeiterbewegung in Frankreich und nahm Stellung mit Werken wie 1852 »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte« oder 20 Jahre später »Der Bürgerkrieg in Frankreich«, in dem er die Pariser Kommune von 1871 einer kritischen Analyse unterzog.
Nach der Februarrevolution 1848 wurde Karl Marx im März von der republikanischen französischen Regierung eingeladen, nach Paris zurückzukommen. Er tat es, allerdings nur für einen kurzen Aufenthalt, bevor er im April nach Köln weiterreiste, wo er durch die auch dorthin übergreifenden revolutionären Ereignisse noch einmal Gelegenheit hatte, eine »Neue Rheinische Zeitung« zu leiten. Als sich das Blatt wendete und Marx wegen seiner Schriften verurteilt wurde, kehrte er 1849 wieder nach Paris zurück. Aber auch hier hatten sich inzwischen die revolutionären Träume zerschlagen, und als er abermals ausgewiesen wurde, ging Marx mit der Familie im August 1849 ins definitive Exil nach London.
Später kam er illegal 1869 nach Paris, um seine Töchter Jenny und Laura zu sehen, die mit den Franzosen Charles Longuet und Paul Lafargue verheiratet waren. Das letzte Mal war Marx hier 1881 kurz auf der Hin- und der Rückreise für einen Kuraufenthalt in Algier. Ein Jahr später ist er in London gestorben.
Der zweite Teil der Ausstellung zeigt anhand von Büchern, Fotos und Plakaten, welchen Einfluß das Werk von Marx auf die französische Arbeiterbewegung hatte, wie hoch geachtet er nach wie vor bei französischen Wissenschaftlern ist, aber auch welchen Angriffen und Verleumdungen er über Jahrzehnte hinweg ausgesetzt war. Unzählige Male für tot erklärt, erwiesen sich seine Ideen immer wieder als höchst lebendig und weiter gültig.
Grafische und plastische Exponate der Ausstellung zeigen, wie intensiv sich auch viele französische Künstler mit Marx und seinem Werk auseinandergesetzt haben. Das reicht bis zur berühmten Comicserie Asterix, wo in der 1976 erschienenen Folge »Asterix erobert Rom« das 1776 durch Adam Smith beschriebene und ein Jahrhundert später durch Karl Marx kritisch analysierte Prinzip der Marktwirtschaft humorvoll mit dem Angebot und der Nachfrage nach Menhiren demonstriert wird.
Marx en France
du 25 mars au
31 décembre 2023
Le Musée de l'Histoire
vivante de Montreuil
Parc Montreau
31 Bd Théophile Sueur, 93100 Montreuil
mercredi/jeudi/vendredi – de 14h à 17h
samedi & dimanche –
de 14h à 18h00
Plein tarif: 4 €
Gratuit: étudiants,
enseignants, chômeurs,
enfants de moins de 13 ans,
scolaires