Keine Klassenfrage
Kommunistischen Parteien wird seitens der nicht- bis antikommunistischen Linken immer wieder vorgeworfen, der Unterstützung der LGBT-Bewegung, die sich für die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans-Menschen einsetzt, keine Priorität in ihrer politischen Arbeit einzuräumen.
Das verwundere um so mehr, als die Kommunisten beim Kampf der Frauen um Gleichberechtigung oder gegen Rassismus stets in der ersten Reihe stehen, argumentieren diese Linken oft.
Zur Beantwortung dieser Frage gehört zunächst die Feststellung, daß Kommunisten den sogenannten Hauptwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft in der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, der Klassenausbeutung, sehen. Diese wollen die Kommunisten ein für alle Mal beenden, indem die Klasse der Lohnabhängigen zur bestimmenden gesellschaftlichen Kraft wird.
Der Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit reproduziert sich allerdings in mehreren weiteren, sogenannten Nebenwidersprüchen, die sich alle in ständiger Bewegung befinden. Die historische Aufgabe der Lohnabhängigenklasse ist es, dieses ganze Widerspruchssystem des Kapitalismus durch die Abschaffung des privaten Eigentums an den wichtigsten Produktionsmitteln aufzuheben und, solange das nicht möglich ist, die kapitalistischen Widersprüche in ihrem politischen und vor allem ökonomischen Interesse zu nutzen.
Wobei der vielfach differenzierten und geschichteten Lohnabhängigenklasse auch hoch und höchstbezahlte Dienstleister, Ideologieerzeuger, Künstler, Wissenschaftler usw. angehören können. Nicht nur die Näherin in Bangladesch, bei der es um ihr nacktes Leben und das ihrer Familie geht, ist lohnabhängig. Jeder, der seinen Lebensunterhalt mit seinem Lohn bestreiten muß, ist – weil er dies eben nicht aus Kapitaleinkünften tun kann – lohnabhängig.
Beim Kampf der Frauen gegen ihre strukturelle Unterdrückung in den aufeinanderfolgenden Klassengesellschaften – nicht nur der kapitalistischen – handelt es sich tatsächlich um eine Klassenfrage. Deshalb räumen die Kommunisten auch diesem »Nebenwiderspruch« der kapitalistischen Gesellschaft eine gewisse Priorität ein.
Gleiches gilt für den Kampf gegen die rassistische Ideologie, bei der es sich schon deshalb um eine Klassenfrage handelt, weil sie dem Kapital seit der kolonialistischen Unterwerfung und anschließenden Überausbeutung der »Dritten Welt« zur Rechtfertigung dieser Menschheitsverbrechen und zur Spaltung der Ausgebeuteten nach ihren Hautfarben oder anderen körperlichen Merkmalen dient.
Wenn aber Menschen von anderen Menschen widerlich behandelt werden, nur weil sie ein kleines bißchen anders sind, dann ist das noch lange keine Klassenfrage. Nur eine Minderheit der Menschen ist homosexuell und Geschlechtsidentitätsstörungen haben noch weniger. Natürlich ist es gerechtfertigt, für gleiche Rechte und für Freiheit von Diskriminierung für alle Menschen zu kämpfen, eine Kommunistische Partei muß aber stets die Interessen der ganzen Lohnabhängigenklasse erkennen und in ihrer politischen Arbeit vertreten.
Denn nur so kann der Kapitalismus überwunden und können mit seinem Profitprinzip unvereinbare Menschenrechte wie das auf Arbeit, eine Wohnung, eine kostenlose Gesundheits- und Altersversorgung usw. eingelöst werden. Und das wäre doch auch ganz im Interesse der lesbischen, schwulen, bi- und transsexuellen Lohnabhängigen.
Oliver Wagner