Michelin schließt Werk
Erst Lohnverzicht, dann Entlassung : Französischer Reifengigant setzt 614 Arbeiter in La Roche-sur-Yon auf die Straße
Der französische Reifengigant Michelin hat Ende der vergangenen Woche die Schließung seines Werks in La Roche-sur-Yon verkündet. 614 Lohnabhängige werden ihren Arbeitsplatz verlieren. In der Kleinstadt südlich von Nantes an der Atlantikküste wurden bisher ausschließlich Produkte für schwere Lastfahrzeuge hergestellt. Die Führung des in Clermont-Ferrand (Zentralfrankreich) angesiedelten Industriekonzerns begründete die Entscheidung mit dem »seit zwei Jahren rückläufigen Geschäft mit Lastwagenreifen« . Insgesamt würden weltweit weniger Schwerlaster hergestellt, die Zahl der von solchen Fahrzeugen zurückgelegten Kilometer habe sich gleichzeitig drastisch verkürzt. Gewachsen sei im selben Zeitraum die Konkurrenz in Asien, die den Markt mit billigeren Produkten bediene. Michelin verbuchte im vergangenen Jahr 1,6 Milliarden Euro Nettogewinn.
Steuergelder verbrannt
Seit 2013 strich der Betrieb außerdem Millionenbeträge aus dem Hilfsfonds CICE der französischen Regierung ein. Die 2012 von der sozialistischen Regierung unter Präsident François Hollande beschlossene Maßnahme »Crédit d’impôt pour la compétitivité et l’emploi« sollte mit enormen Steuernachlässen die internationale »Wettbewerbsfähigkeit« französischer Hersteller sichern und für die Schaffung von Arbeitsplätzen im Industriesektor sorgen. Der CICE, der Staatshilfen von bis zu sieben Prozent der sogenannten Arbeitskosten garantierte, blieb auch unter dem gegenwärtigen Präsidenten Emmanuel Macron – bis 2016 noch Hollandes Wirtschaftsminister – in Kraft.
Die Frage französischer Tageszeitungen wie »Libération« und »Le Monde« , ob die Lohnabhängigen bei Michelin den Wechsel des vormaligen Generaldirektors Jean-Dominique Senard zu Renault bedauern müßten, stellt sich in diesem Rahmen allerdings kaum. Senard setzte in der vergangenen Woche bei Renault seinen bisherigen zweiten Mann Thierry Bolloré vor die Tür, der seit sieben Jahren als Fabrikdirektor unter dem in Japan verhafteten und seit Monaten festgesetzten ehemaligen Renault-Chef Carlos Ghosn für das Tagesgeschäft bei dem Automobilhersteller zuständig war. Eine Maßnahme, die in der Tagespresse bereits als Zeichen für eine anstehende größere Revision im Personalbereich des Konzerns gedeutet wurde.
Der neue Mann an der Spitze bei Michelin heißt Florent Menegaux. Seit 1997 war der 57 Jahre alte Manager in verschiedenen Funktionen beim Konzern tätig, bevor er im Mai Senard nachfolgte. Nur wenige Monate später ließ er die Fabrikation von Hochqualitätsreifen im deutschen Hallstadt schließen – ein Verlust von 860 Arbeitsplätzen. Wie das »Handelsblatt« im September meldete, habe Michelin auch diese Werkschließung mit dem »Druck aus Asien« und »sinkender Nachfrage« begründet. Der Konzern habe in der Stadt bei Bamberg seit 2013 – letztlich erfolglos – rund 60 Millionen Euro investiert. Insgesamt beschäftigt Michelin nach eigenen Angaben rund 5.400 Lohnabhängige in Deutschland.
Betriebsrat empört
Die Konkurrenz aus Asien als Grund für die beschlossene Werksschließung zu nennen, ist für den dortigen Betriebsrat »nicht nachvollziehbar« . Michelin habe bei einem Gesamtumsatz von 22 Milliarden Euro 2018 den enormen Nettogewinn von 1,6 Milliarden Euro verbucht. »Die Arbeiter fühlen sich verraten« , erklärte der Michelin-Vertrauensmann der Gewerkschaft CGC, Fabrice Herbreteau, am vergangenen Donnerstag vor Ort. Die Arbeitsgruppen in dem nun aufgegebenen Reifenwerk hätten 2016 zugestimmt, die versprochenen Investitionen des Konzerns mit einer Reduzierung der Produktion um drei Achtel der vorherigen Kapazität – weniger Arbeitsstunden und Lohnverlust inklusive – zu unterstützen. Allein 2017 habe Michelin 70 Millionen Euro aus dem CICE-Programm der Regierung eingesackt, dem Hilfsfonds, »der eigentlich die Erhaltung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Land garantieren soll« .
Wie auch andere international tätige Großkonzerne, die in Europa enorm hohe Profitraten vermelden und trotzdem Filialen oder ganze Produktionszweige abstoßen, bietet auch Michelin seinen Arbeitern nun einen »finanziellen Ausgleich« an. Die Lohnabhängigen und der lokale, unter Beschäftigungsmangel leidende Wirtschaftsraum soll mit einer milden Gabe abgespeist werden : Die Werksschließung werde mit 120 Millionen Euro finanziert, ließ Michelin am Freitag wissen. Der Reifenhersteller war nach Angaben des Macron-Parteigängers und Parlamentsabgeordneten Philippe Latombe die letzte südlich von Nantes angesiedelte Fabrik mit mehr als 100 Arbeitsplätzen.
Hansgeorg Hermann,
Paris
Blockade des Eingangstores der Fabrik in La Roche-sur-Yon durch Gewerkschafter der CGT am vergangenen Freitag (Foto : LOIC VENANCE/AFP)