Wie weiter in Palästina?
Netanjahu und Trump feierten in Washington »historischen Sieg«
Knapp eine Woche war der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Washington, um mit USA-Präsident Donald Trump über die Lage in Israel und seinen Sieben-Frontenkrieg in Westasien zu reden. Zum Auftakt »überraschte« der oberste israelische Kriegsherr vor laufenden Kameras Gastgeber Trump bei einem Abendessen im Weißen Haus mit der Ankündigung, er habe Trump für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. »Wow«, reagierte Trump scheinbar verblüfft, als Netanjahu ihm sein Schreiben an das Nobelpreiskomitee überreichte. Das habe er »gar nicht gewußt« und es bedeute wirklich »sehr viel«, so Trump. Besonders weil es von Netanjahu komme, sei es so bedeutsam, fuhr Trump fort: »Vielen Dank, Bibi.«
Netanjahus Reise nach Washington veranlaßte die UNO-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese zu Kritik an den Ländern wie Italien, Frankreich und Griechenland, die dem vom Internationalen Strafgerichtshof gesuchten israelischen Staatschef die Nutzung ihres Luftraums gestatteten, obwohl sie eigentlich gemäß dem Römischen Statut »zur Festnahme verpflichtet“ seien.
Während Netanjahu und Trump mit ihren »Teams«, den »historischen Sieg« über Westasien feierten, wurde in den Trümmern in Gaza und im Westjordanland, im Libanon, in Syrien, im Jemen und im Iran darüber nachgedacht, welche Kriegsfront in Washington für den nächsten Angriff in Westasien ausgewählt werden könnte.
Jemen
Im Jemen wird mit einem Großangriff gerechnet, zumal die Houthi-Bewegung »Ansar Allah« trotz israelischer Angriffe weiter Raketen auf Israel feuert. Im Laufe der vergangenen Woche wurden zwei Frachter im Roten Meer versenkt. Beide Schiffe, die »Magic Sea« und »Eternity C« wollten Häfen in Israel anlaufen und hätten Warnungen nicht respektiert, so die Houthi-Bewegung.
Abdul-Malik al-Houthi, Generalsekretär der Bewegung, erklärte am Freitag, kein Unternehmen dürfe Waren für Israel durch das militärische Operationsgebiet transportieren. Man habe eine Seeblockade gegen Israel verhängt, wer diese nicht respektiere, laufe Gefahr angegriffen zu werden. Die Seeblockade für Schiffe mit Waren für Israel gilt demnach für das Rote Meer, den Golf von Aden und das Arabische Meer.
Iran
Im Iran wird mit einem weiteren Angriff gerechnet, die angeblichen Vorschläge der USA, erneute Verhandlungen über das iranische Atomprogramm zu führen, werden von Teheran zwar nicht grundsätzlich abgelehnt, doch fordert das iranische Außenministerium Garantien von den USA, mögliche neue israelische Angriffe zu stoppen.
Der Iran hat seine Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) ausgesetzt, die letzten Inspektoren der Organisation haben das Land verlassen. Im UNO-Sicherheitsrat fordert der Iran weitreichende Wiedergutmachung für die Opfer und Schäden durch den nicht provozierten israelischen Angriff und für die Angriffe der USA auf iranische nukleare Anlagen.
Libanon
Auch im Libanon könnte ein neuer israelischer Krieg beginnen. Der Sonderbeauftragte des USA-Präsidenten, Tom Barrack, setzt die libanesische Regierung unter Druck, die Hisbollah komplett zu entwaffnen. Die bisher geltende Resolution 1701 des UNO-Sicherheitsrates sieht den Rückzug der israelischen Armee aus dem Libanon, den Rückzug der Hisbollah von der »Blauen Linie« in das Gebiet nördlich des Flusses Litani sowie die Stationierung der libanesischen Streitkräfte im Südlibanon vor, die gemeinsam mit der UNO-Friedensmission UNIFIL die libanesische Seite der »Blauen Linie« kontrollieren soll.
Das Abkommen über eine »Waffenruhe« von Ende November 2024 – das von den USA und Frankreich mit Israel und dem Libanon ausgehandelt worden war – räumt allerdings Israel weitgehende militärische Operationsfreiheit im gesamten Libanon ein. Israel operiert mit Spionage- und Killerdrohnen ungestraft und rund um die Uhr im libanesischen Luftraum. Drohnen und Kampfjets bombardieren täglich Fahrzeuge auf den libanesischen Straßen und zerstören in den Dörfern im Süden des Landes jeglichen Versuch des Wiederaufbaus.
Der Militärrat, der die »Waffenruhe« überwachen soll, wird von einem US-amerikanischen und einem französischen General geleitet, die UNO-Truppe UNIFIL nimmt an Gesprächen teil, hat aber nichts zu sagen. Anders als vor diesem neuen »Mechanismus« gebe es keine Dreiparteiengespräche mehr unter dem Vorsitz der UNIFIL, erklärte deren Sprecher Andrea Tenenti im Interview mit der Autorin. Wann immer es Probleme gegeben habe, seien Vertreter der libanesischen Armee, der israelischen Armee und von UNIFIL zusammengekommen, um darüber zu sprechen. Dieses Instrument sei nun ausgesetzt, der »Mechanismus« werde vom US-amerikanisch/französischen Gremium überwacht.
Neues »Sykes-Picot«
Die kürzlich bekannt gewordenen Gespräche zwischen der selbsternannten Interimsführung in Syrien unter dem langjährigen Anführer der Al Qaida in Syrien, Ahmed al Sharaa alias »Abu Mohammed al Jolani« und dem israelischen Nationalen Sicherheitsberater für die besetzten Gebiete, einschließlich der syrischen Golanhöhen Tzachi Hanegbi in Abu Dhabi, scheinen Berichten zufolge auch den Libanon zu betreffen. Unter Berufung auf »diplomatische Quellen« berichtete der libanesische Nachrichtensender Al Mayadeen über das Treffen, das am Mittwoch stattfand und vom Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohammed bin Zayed vermittelt worden war.
Demnach seien offenbar in Damaskus »neue Sicherheitsagenturen« eingerichtet worden, die mit der israelischen Besatzungsmacht in Syrien kooperieren. Der selbsternannte »Interimspräsident« Al Sharaa scheint zu weitreichenden Zugeständnissen an Israel bereit, wenn er im Gegenzug international in seiner derzeitigen Machtposition unterstützt wird. Al-Sharaa soll dem Bericht zufolge der Entmilitarisierung der drei südlichen syrischen Provinzen Deraa, Quneitra und As-Suweida zugestimmt haben, wie Israel es fordert. Al-Sharaa fordert für die »Normalisierung« der Beziehungen zu Israel ein Drittel der von Israel besetzten Golan-Höhen.
Gegen Hisbollah und Iran
Zur Bekämpfung des Iran und der libanesischen Hisbollah ist offenbar ein »Sicherheitsabkommen« zwischen Israel und Syrien in Planung. Die neue, sunnitisch-islamistische Führung in Damaskus könnte demnach die Kontrolle über die nordlibanesische Hafenstadt Tripoli und möglicherweise auch über die Bekaa-Ebene und die libanesischen Sheeba-Farmen erhalten. Die neuen Machthaber in Damaskus verlangen laut vorliegenden Meldungen »Souveränität über Tripoli« und weitere Gebiete. Dabei soll es sich um ursprünglich syrisches Territorium handeln, das 1923 von der französischen Mandatsmacht für einen Staat Libanon von Syrien abgetrennt worden war. Al Mayadeen berichtet auch von einer »regionalen Wasser-Vereinbarung« zwischen der Türkei, Syrien und Israel. Danach könnte eine Pipeline für Wasser vom Euphrat durch Syrien nach Israel geliefert werden.
Entlang der syrisch-libanesischen Grenze von den Golan-Höhen bis zum Mittelmeer sollen inzwischen Stützpunkte für Truppen der syrischen Streitkräfte errichtet worden seien. Die Einheiten bestehen aus den als »Todesschwadronen« bekannten Uiguren, Tadschiken und Tschetschen, die schon während des Krieges in Syrien blutige Attentate auf zivile Infrastruktur und die damalige syrische Armee verübt hatten. Aufgabe dieser Truppen soll offenbar der Angriff auf die schiitischen Dörfer in der Beeka-Ebene sein, um die libanesischen Schiiten – die sie als »Ungläubige« bezeichnen – zu töten und/oder zu vertreiben. Unterstützung könnten sie von Gegnern der Hisbollah im Libanon und durch massive israelische Luftangriffe bekommen.
Das Szenario – offenbar mit dem USA-Sonderbeauftragten für Türkei, Syrien und Libanon Tom Barrak ausgearbeitet – erinnert an die Bewaffnung und Finanzierung islamischer und dschihadistischer Kampfverbände, die über Jordanien und die Türkei nach Syrien eindrangen. Die damaligen Geldgeber in den arabischen Golfstaaten sitzen ebenso wie USA, Türkei, Israel wieder mit am Tisch.
Israels Waffenlager werden gefüllt
Die Waffenlager Israels werden nach dem israelischen Angriff auf den Iran und die massive iranische Reaktion gegen Israel, die die israelische Seite an den Rand ihrer Verteidigungsfähigkeiten brachte, von den USA, Britannien, Frankreich und Deutschland unablässig aufgefüllt, auch über das NATO-Lager in Luxemburg.
Die israelische Armee will zudem 54.000 orthodoxe Studenten zum Kriegsdienst einziehen, um die vom Gaza-Krieg erschöpften Truppen wieder aufzufüllen. Orthodoxe Juden waren in Israel bisher vom Militärdienst freigestellt, doch die anhaltenden israelischen Kriege sind ohne Reservisten – zumeist Personen mit doppelte Staatsbürgerschaft, die zumeist aus dem Ausland kommen – auf Dauer nicht zu führen.
Das bisherige Gesetz hinsichtlich der Freistellung der orthodoxen Studenten war, nicht zuletzt aufgrund der Kriegssituation, außer Kraft gesetzt worden. Der Oberste Gerichtshof ordnete im Sommer 2024 an, daß die Orthodoxen zur Armee eingezogen werden könnten. Wer sich weigert, hat mit Haftstrafen zu rechnen, die allerdings bisher nicht umgesetzt werden.
Waffenruhe fraglich
In Washington und Tel Aviv und auch in Brüssel wird bereits von einem »Ende Krieges in Gaza« geredet. Eine Waffenruhe in Gaza sei bis Ende der Woche möglich, erklärten Trump und Netanjahu, Vermittler in Kairo und Doha sprechen dagegen von weiteren Unklarheiten. Die Hamas warf Netanjahu vor, falsche Nachrichten zu verbreiten. Bei einem Treffen mit Angehörigen von noch lebenden israelischen Geiseln hatte der israelische Regierungschef erklärt, man stehe kurz vor einem Abkommen. Die Hamas allerdings erklärte, Israel sei nicht bereit, grundlegende Forderungen der Hamas – sofortiges Ende der Angriffe, Abzug der israelischen Besatzungstruppen und Hilfsgüter in den Gaza-Streifen zu lassen – einzugehen.
Tatsächlich hat Netanjahu Washington am Donnerstag verlassen, ohne genaue Angaben über ein angeblich bevorstehendes Abkommen mit der Hamas zu machen. Die allgemeine Ankündigung, eine 60-tägige Waffenruhe stehe kurz bevor, wurde nicht weiter präzisiert. Stattdessen wurde bekannt, das Israel offenbar plant, eine »humanitäre Stadt«, in einigen Medien auch als »Auffanglager« bezeichnet, für 600.000 Palästinenser auf den Trümmern der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens zu errichten.
Der israelische Kriegsminister Israel Katz erklärte im Gespräch mit dem israelischen Sender KAN, man wolle eine »räumliche Trennung zwischen der Bevölkerung des Gazastreifens und der Hamas« herstellen. Diejenigen, die in die »humanitäre Stadt« kämen, würden gescannt und überprüft, keiner dieser Menschen werde mehr zurückgehen können. Das Ziel sei, die Menschen von dort umzusiedeln, so Katz. Gideon Levy, langjähriger Korrespondent der israelischen Tageszeitung »Haaretz« sprach im Interview mit »Al Jazeera« von der Errichtung von »Konzentrationslagern«, die Israel für die Bewohner des Gaza-Streifens errichte, um sie zu deportieren.
Parallel zu den Plänen der »humanitären Stadt« der israelischen Regierung kündigte die EU-Außenbeauftragte Kallas die Lieferung von Hilfsgütern im Auftrag der EU in den Gazastreifen an. Angeblich werde Israel weitere Grenzübergänge öffnen. Wer die Hilfe verteilen soll, konnte Frau Kallas nicht sagen. Israel hat dem UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, UNRWA, die Arbeit in Gaza und in den besetzten palästinensischen Gebieten verboten. Seit Mai operiert eine paramilitärische »Humanitäre Gaza-Stiftung« (GHF) in enger Zusammenarbeit mit dem israelischen Militär und einer kriminellen palästinensischen, offenbar von Israel bewaffneten Miliz namens »Abu Shabab«.
Nach Angaben des UNO-Büros für humanitäre Hilfe (OCHA) wurden seit Mai fast 800 Palästinenser registriert, die an den »GHF«-Ausgabestellen oder in der Umgebung getötet wurden. Eine Sprecherin von OCHA sagte Journalisten in Genf, daß man bis zum 7. Juli mindestens 798 Tötungen an den »GHF«-Ausgabestellen und entlang von Konvoi-Routen registriert habe. »615 wurden in unmittelbarer Umgebung der GHF-Ausgabestellen getötet, 183 wurden auf dem Weg dorthin und entlang der Konvoi-Routen getötet«, erklärte OCHA-Sprecherin Ravina Shamdasani. Die Zahl der getöteten Palästinenser seit Oktober 2023 ist auf mehr als 57.700 gestiegen.
Dutzende Tote in Gaza täglich
Die Angriffe auf Gaza und auch gegen die Palästinenser im besetzten Westjordanland haben an Intensität zugenommen. Augenzeugen im Gazastreifen berichten von gezielten Angriffen auf Menschen, die in Zelten, Schulen oder Ruinen Schutz gesucht haben. Augenzeugen, die nach einem israelischen Angriff auf die Halimah al-Saadiyah Schule im Flüchtlingslager Jabalia an-Nazla im Norden des Gaza-Streifens am Donnerstag mit einem Korrespondenten des katarischen Nachrichtensenders »Al Jazeera« sprachen, berichteten von grausamen Szenen, als sie versuchten Menschen zu retten. Die Schule sei völlig in Staub gehüllt gewesen, »Panik, Angst und Schrecken von Überlebenden war überall«.
In der Schule waren über tausend Menschen untergebracht, die aus anderen Gebieten von Gaza fliehen mußten. Mindestens zehn Personen seien getötet worden, berichtete ein Augenzeuge, »alle waren Frauen und Kinder«. Ein weiterer Augenzeuge, Ahmed Khalla, berichtete, er habe Tote in einem Klassenzimmer gefunden: »Kinder, die in Stücke gerissen waren, verbrannt«, so der Augenzeuge. »Ich habe ein kleines Mädchen gesehen, das keinen Kopf mehr hatte. Sie war ohne Kopf…«