Ausland16. Juni 2023

Wem nützt es?

Ein Sachstand zum Bruch des Kachowka-Staudamms

von Gert Ewen Ungar, Moskau

Am 6. Juni brach der Kachowka- Staudamm. Die Wassermassen überfluteten Cherson, dabei kamen fünf Menschen ums Leben. Durch die Überflutung droht eine ökologische und humanitäre Katastrophe.

Vorausgegangen war dem Bruch ein Beschuß durch die ukrainische Armee. Eine Salve eines Mehrfachraketenwerfers vom Typ »Olcha« hat den oberen Teil des Kraftwerks zerstört, berichten russische Medien. Die Salve allein hätte den Damm nicht zum Einsturz bringen können, allerdings war er bereits stark beschädigt. Schon im Herbst 2022 wurde er von der Ukraine massiv beschossen. Cherson wurde von Rußland kontrolliert. Mit dem Beschuß des Staudamms, seinem drohenden Bruch und der absehbaren Katastrophe zwang die Ukraine die russischen Truppen zum Rückzug vom rechten Ufer der Dnjepr.

Zuvor war die Gegend evakuiert worden, Zivilisten wurden in Sicherheit gebracht. Das ist der Grund für die vergleichsweise niedrigen Opferzahlen, nachdem der Damm nun schließlich doch zum Einsturz gebracht worden ist. Der Bruch des Damms machte jedoch weitere Evakuierungen notwendig, die unter dem Beschuß der Ukraine stattfanden.

Das Wasser des Dnjepr dient auch zur Kühlung des Atomkraftwerks in Saporoschje. Der Pegel des Wasserreservoirs, das die Kühlung speist, sinkt seit einigen Tagen. Das AKW ist unter russischer Kontrolle, liegt aber ebenfalls unter regelmäßigem Beschuß der Ukraine.

Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski ermittelt der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) inzwischen. »Vertreter des Internationalen Strafgerichtshofs haben die Region Cherson in den vergangenen Tagen besucht«, sagte Selenski in einer Videoansprache. Der IStGH hat dies offiziell bisher nicht bestätigt.

Bestätigt dagegen ist, daß auch Rußland eine Untersuchung eingeleitet und ein Strafverfahren gegen Unbekannt wegen Terrorismus eröffnet hat.

Interessant ist, wie deutsche Medien auf den Fall reagierten. So legte die »Tagesschau« unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorfalls die Fährte nach Rußland. Sie interviewte Christian Mölling, den Vizedirektor des steuerfinanzierten transatlantischen Thinktanks Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Mölling glaubt, die Sprengung zeige, wie wenig Handlungsspielraum Rußland militärisch noch bleibe. Rußland sei militärisch »ziemlich blank« und nicht mehr in der Lage, zu eskalieren. Dies ist angesichts der Tatsache, daß es sich bei Rußland um eine Atommacht handelt, eine grob irreführende Behauptung. Wenig später nachlegen durfte dann Carlo Masala, Politologe an der Universität der Bundeswehr in München.

Die manipulative Strategie, die die »Tagesschau« in diesem Zusammenhang anwendet, ist nicht neu. Schon beim Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines ließ sie unmittelbar darauf einen norwegischen Militärexperten zu Wort kommen, der behauptete, der einzig mögliche Akteur sei Rußland.

Auch andere Medien lassen in diesem Zusammenhang jede journalistische Sorgfaltspflicht beiseite und deuten auf Rußland als verantwortlich für den Bruch des Staudamms. Die Berichterstattung zum Ukraine-Krieg ist von erschreckender Einseitigkeit und hat längst Propagandacharakter.

Das Wasserkraftwerk von Kachowka ist das sechste und letzte Werk in einer Kaskade von insgesamt sechs Wasserkraftwerken entlang des Dnjepr. Der Bau wurde von der Sowjetunion in den 50er Jahren realisiert und diente der Energieversorgung, sollte aber auch den Süden und die Krim mit Süßwasser beliefern. Der Bau der Staudamm-Kaskade gilt als eine der großen Leistungen der Sowjetunion, die der Erhöhung des Lebensstandards dienten.

Durch den Bruch des Staudamms ist der Nord-Krim-Kanal inzwischen von der Wasserversorgung abgeschnitten. Bereits nach der Eingliederung der Krim nach einem Referendum 2014 verhängte die Ukraine eine Wasserblockade und schnitt die Krim vom Zugang zu Süßwasser ab. Mit dem russischen Eingreifen in den Krieg in der Ukraine wurde diese Blockade aufgebrochen. Jetzt droht der Krim erneut Wasserknappheit.