Neuer Versuch einer Lösung für Syrien
Gemeinsame Patrouille von Rußland und Türkei in Idlib
Am Sonntag haben die gemeinsamen Patrouillen der russischen und türkischen Militärpolizei in der nordwestsyrischen Provinz Idlib begonnen. Die gepanzerten Militärfahrzeuge fahren nun täglich einen vereinbarten Abschnitt der strategisch wichtigen Autobahnverbindung M4 entlang, um Kampfhandlungen zu unterbinden.
Die Patrouillen sind Teil einer russisch-türkischen Waffenstillstandsvereinbarung, die am 5. März von den Präsidenten der Türkei und Rußlands, Recep Tayyib Erdogan und Wladimir Putin in Moskau unterzeichnet worden war. Militärdelegationen beider Länder hatten in der vergangenen Woche in Ankara die Route und Häufigkeit der gemeinsamen Patrouillen besprochen. Auch die Eckpunkte von zwei »Sicherheitskorridoren« , die sich jeweils 6 Kilometer nördlich und südlich der Autobahnverbindung erstrecken, waren von den Militärs festgelegt worden.
Um Kampfhandlungen zwischen den syrischen Streitkräften und den türkischen Soldaten auszuschließen– letztere wurden in Idlib im Rahmen eines Deeskalationsabkommens vom September 2018 auf so genannten Beobachtungsposten stationiert – wurde ein russisch-türkisches Koordinierungszentrum eingerichtet.
Rußland ist Partner der syrischen Regierung und Streitkräfte und hilft mit dem Iran die territoriale Integrität des Landes wieder herzustellen. Rußland, Iran und die Türkei sind in der Astana-Gruppe verbündet. Deren Ziel ist es, die territoriale Integrität und staatliche Souveränität zu schützen. Die Türkei ist Partner von dschihadistischen bewaffneten Gruppen, die nach ihren militärischen Niederlagen in andren Gebieten Syriens in die Provinz Idlib zurückgezogen wurden. Diese Gruppen werden in den westlichen bürgerlichen Medien weiterhin als »Rebellen« bezeichnet. Zudem ist in diesen Medien für die Provinz Idlib wider besseres Wissen die Bezeichnung »letztes Rebellengebiet« üblich.
Führende Kraft unter den regierungsfeindlichen Verbänden ist die Allianz »Hay’at Tahrir al-Scham« (HTS), eine Nachfolgeorganisation der Al-Qaida-Organisation Nusra-Front. Diese ist, wie auch HTS, vom UNO-Sicherheitsrat als Terrororganisation gelistet, damit ist die HTS nicht Teil der Vereinbarungen über einen Waffenstillstand. Zudem hatte HTS unmittelbar nach der Waffenstillstandsvereinbarung mitgeteilt, sich nicht daran zu halten und den Krieg fortzusetzen.
Die Türkei unterstützt offiziell die Regierungsgegner der »Nationalen Koalition der revolutionären und oppositionellen Kräfte Syriens« (Etilaf) und die von ihr installierte »Exil-Regierung« . Humanitäre Hilfe für diese Kräfte wird wesentlich von den EU-Staaten Britannien, Frankreich und Deutschland sowie von den USA finanziert und mit UNO-Hilfskonvois über die beiden Grenzübergänge Bab Al Hawa und Bab Al Salam aus der Türkei nach Idlib und in andere von der Türkei und syrischen Regierungsgegnern kontrollierte Gebiete geliefert.
Provokationen gegen Patrouillen
Militärisch unterstützt die Türkei in Idlib, Afrin und Azaz bewaffnete Gruppen, die sie als »Nationale Befreiungsfront« und »Nationale Syrische Armee« unter der Kontrolle der türkischen Armee zusammengefaßt hat. Vor Ort und an der Front allerdings gibt es häufig Kooperation dieser türkisch kontrollierten Söldner mit HTS und anderen, mit HTS verbündeten Gruppierungen. Unklar ist, ob die Türkei diese Kooperation nicht unterbinden kann oder sie nicht unterbinden will.
Bei der ersten Kontrollfahrt der russisch-türkischen Militärpolizei entlang der M4 kam es am Sonntag zu »Provokationen der Dschihadisten« , wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte. Die Patrouillenfahrt sei verkürzt worden. »Radikale Gruppen, die nicht von der Türkei kontrolliert werden« , hätten versucht »Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, als menschliche Schutzschilde zu benutzen« , hieß es in Moskau.
Die in Britannien ansässige »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« und mehrere westliche Medien berichteten, daß Zivilisten Reifen auf die Straße gelegt und angezündet hätten, um die Patrouillen behindern. Die Anwohner hätten gegen Rußland protestiert, das entsprechend einem syrisch-russischen Abkommen die syrische Regierung und Regierungsarmee unterstützt. Regierungsgegner bezeichnen Rußland wie auch den Iran als »Besatzer« .
Waffenstillstand in Idlib wird weitgehend eingehalten
Das russische Verteidigungsministerium erklärte, man habe Ankara »mehr Zeit eingeräumt, um die terroristischen Gruppen zu eliminieren und die Sicherheit der Truppen zu gewährleisten, die an den gemeinsamen Patrouillen entlang der M4 Autobahn teilnehmen« .
Rußland äußert sich gegenüber der Türkei betont zurückhaltend. Das Russische Zentrum für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien teilte mit, es habe in den Provinzen von Idlib und Latakia am Sonntag sechs Angriffe der Nusra-Front (HTS) gegeben. Die »illegalen, von der Türkei kontrollierten bewaffneten Gruppen haben am Sonntag keine Angriffe durchgeführt« , erklärte der Leiter des Zentrums, General Oleg Shurawljow.
Die Autobahn M4, die bei Sarakib im Osten von Idlib an die Autobahn M5 anschließt verbindet die Hafenstadt Latakia mit der Wirtschaftsmetropole Aleppo und ist von großer strategischer Bedeutung. Den von der Türkei unterstützten Dschihadisten dienten beide Autobahnen seit 2012 als Nachschubweg für Waffen, Kämpfer, Treibstoff und Hilfsgüter aus der Türkei. Mit dem jüngsten Waffenstillstandsabkommen wird den Dschihadisten dieser Nachschubweg genommen.
Regierungsgegner erinnern an Beginn von »Aufstand« und »Revolution in Syrien«
In der Türkei erinnerten am 15. März die »Nationale Koalition der revolutionären und oppositionellen Kräfte in Syrien« und deren »Exil-Regierung« an den Beginn der »Revolution in Syrien« 2011. Auch die Außenminister der USA, Britanniens, Frankreichs und Deutschlands veröffentlichten zum »9. Jahrestag des Aufstandes in Syrien« eine gemeinsame Erklärung. Sie forderten, daß »das Assad-Regime« die Kämpfe in Idlib beendet und »das rücksichtslose Töten einstellt« . Darüber hinaus machten sie Damaskus für die Zerstörung des Landes, die humanitäre Katastrophe, die Vertreibung von 11 Millionen und den Tod von 500.000 Syrern verantwortlich.
Die Führung der Europäischen Union hatte 2011 auf Anregung der damaligen »Freunde Syriens« , darunter die Golfstaaten, Deutschland, Britannien, Frankreich und die USA gegen Syrien erstmals einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen verhängt und diese seitdem jährlich verlängert und verschärft. Gleichzeitig werden die bewaffneten Gruppen, die gegen die syrische Regierung Krieg führen, direkt oder indirekt mit Waffen, Ausrüstung, Geld, logistischer Hilfe, diplomatischer Beratung und einer massiven Propaganda-Kampagne in den westlichen Medien unterstützt.
Die USA-Armee hält die syrischen Öl- und Gasfelder im Osten des Landes besetzt, Washington hat ein Ölembargo gegen das Land verhängt. Diese Maßnahmen sind völkerrechtlich unzulässig und tragen zur Verheerung der syrischen Ökonomie, der Zerstörung des Gesundheitswesens und Verhinderung des dringend erforderlichen Wiederaufbaus bei.
Karin Leukefeld
Ein türkisches (hinten) und ein russisches Militärfahrzeug bei einer gemeinsamen Patrouille auf der Schnellstraße M4
(Foto : Turkish Defense Ministry/dpa)