Leitartikel04. Juli 2025

Krank arbeiten gehen als Normalität

von

Kürzlich veröffentlichte die CSL ihren »Better Work« Newsletter, welcher sich thematisch mit dem Phänomen des Präsentismus auseinandersetzt. Präsentismus bedeutet das Verhalten, trotz gesundheitlicher Probleme am Arbeitsplatz zu erscheinen. Präsentismus ist also das Gegenteil des patronalen Kampfbegriffs des »Absentismus«, dem Fernbleiben von der Arbeit aufgrund von Erkrankungen, welcher bekanntlich immer wieder scharfe Forderungen nach härteren Überwachungs- und Saktionsmaßnahmen gegen Lohnabhängige flankiert.

Dabei sollte gerade mit Blick auf negative Folgen im Betrieb und für die jeweilige Person von den jeweiligen Unternehmen eine gesundheitsfördernde Arbeitskultur gestärkt werden, wozu auch gehören sollte, krankheitsbedingtes Fernbleiben nicht zu verteufeln, beziehungsweise krank am Arbeitsplatz zu erscheinen nicht als »Einsatz« vor jenen Beschäftigten zu loben, die auf ihre Gesundheit achten.

Aus der Newsletter geht hervor, daß 69,7 Prozent der Befragten aus der Gesamtbevölkerung innerhalb des vergangenen Jahres mindestens einmal krank zur Arbeit erschienen seien. Der Medianwert lag hier bei 7 krank zur Arbeit gegangenen Tagen. Frauen gingen häufiger krank arbeiten (75,9 Prozent) als ihre männlichen Kollegen (65,3 Prozent). Nach Altersgruppen waren es insbesondere jüngere Lohnabhängige, die eher krank arbeiten gingen, als ältere Kollegen. Bis 34 Jahre waren es 72,9 Prozent und über 55 Jahren noch 59 Prozent. Dennoch auch hier deutliche Mehrheiten. Bei Führungskräften war der Präsentismuswert am »geringsten« (65,5 Prozent) gegenüber Hilfsarbeitern (72 Prozent). Es zeige sich, daß Konflikte am Arbeitsplatz, befristete Verträge Präsentismus befeuerten, der langfristig zu Burn-Out, geringer Arbeitszufriedenheit und Fehlern bei der Arbeit führen könne.

Diese Zahlen belegen nicht nur, wie gefährdet viele Beschäftigte in ihren jeweiligen Arbeitsverhältnissen sind, sondern auch, wie wenig verbreitet ein gesundes Arbeitsklima in vielen Betrieben nach wie vor ist. Doch die Stigmatisierung beginnt nicht erst am Arbeitsplatz: Krank zu sein wird unterschwellig ebenso stigmatisiert, wie Arbeitslosigkeit, obwohl in beiden Fällen der Betroffene meist nichts dafür kann.

In Zeiten, in denen die Arbeitswelt sich unaufhaltsam technologisch weiter wandelt, sollten solche Zahlen alarmieren und aufzeigen, daß die Gesellschaft sich diesem Wandel stellen muß, bevor es zu massiven Verwerfungen kommt. Doch nach nennenswerten Fortschritten sieht es zuletzt ganz und gar nicht aus: Überall in der EU werden Sozialsysteme geschleift von rechtskonservativen Regierungen und mancherorts sozialdemokratischen Helfershelfern. Dies teils mit einer Unverfrorenheit, wie in Luxemburg, wo bis zum Wahlabend kein Wort vom Rentendiebstahl geäußert wurde. Sie wissen, daß der Gegenwind überschaubar bleibt, trotz Wahlkampf-Hinterlist. Zu viele Menschen sind auf ihre noch so schlechten Jobs angewiesen, um immer knapper über die Runden zu kommen.

Löhne stagnieren, Arbeitsaufkommen nehmen zu und wer krank ist, macht sich verdächtig für den nächsten Abschuß. Von einer Welt, in der die Arbeit dem Leben dient und nicht umgekehrt, entfernen wir uns immer weiter, mit allen katastrophalen Konsequenzen, die sich bereits jetzt im allgemeinen Zusammenleben und der Gesundheit des einzelnen äußern.