Luxemburg29. Januar 2021

Aus der Chamber:

Warme Luft zur Integrationspolitik

Zu Sitzungsbeginn deponierten die Koalitionsfraktionen eine Motion, mit der die Regierung aufgefordert wird, ein juristisches Gutachten einzuholen zum Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, laut dem die Regierung den Abgeordneten den ganzen Konzessionsvertrag mit RTL zeigen muß. Das hört sich an, als ob ein Weg gefunden werden soll, das nicht oder nur begrenzt zu tun, denn sonst bräuchte es ja kein juristisches Gutachten.

Die Integrationspolitik machte Paul Galles, neuer CSV-Generalsekretär, zum Thema einer Interpellation der Regierung. Damit es nicht so aussieht, als überlasse diese der CSV die politische Themensetzung, hat sie eine Orientierungsdebatte zum selben Thema beantragt. Beides wurde unter einem abgeführt.

Es sei falsch, erklärt Galles, die Hälfte der Einwohner als »Nicht-« zu bezeichnen, es sei auch falsch, sie als »die« gefolgt von irgendeiner Nationalität zu bezeichnen, weil »die« ja nicht alle gleich sind, und unterschiedliche Lebensgeschichten haben, wie übrigens auch die mit der Luxemburger Staatsbürgerschaft. Es sei zu fragen, ob die Geschichten nebeneinander oder miteinander laufen – in Parallelgesellschaften oder in einer gemeinsamen Gesellschaft. Sozialer Zusammenhalt sei wichtiger als klassische Integration. Es folgten viele schöne moralisierende Worte – der Mann hat Erfahrung im Predigen seit der Zeit, wo er mit »Pimp my church« bekannt wurde. Zwei CSV-Motionen wurden eingebracht.

Das Integrationsgesetz von 2008 solle abgeändert werden, erklärte Ministerin Cahen. Sie freute sich über den Vorredner, fragte sich ob der Begriff »Integration« noch der richtige sei, und will die Begutachtungsphase bis Jahresende abschließen. Egal wie, Vereine seien ein wesentlicher Bestandteil, um im Land Fuß zu fassen im Rahmen des Benevolats. Die Programme des Ministeriums sollten regionalisiert und in den Gemeinden angeboten werden, damit Wege entfallen. Die Themenabende zur Erlangung der Staatsbürgerschaft sollten auch für Flüchtlinge und Luxemburger geöffnet werden, da alle da Neues erfahren könnten. Sie forderte dazu auf, Ideen für ein besseres Zusammenleben hierzulande zu liefern.

Zusammenleben geht alle an, kam von der DP. Vor einer Neufassung des Gesetzes sollten die bisherigen Maßnahmen und Angebote evaluiert werden. Die Koalition hatte natürlich auch eine Motion zur Bestärkung der Regierung in ihren Absichten. Mitte dieses Jahres soll sie zu einer Debatte in die Chamber zurückkommen. Wir sind alle Luxemburg, kam von der LSAP, und auch die Grenzgänger gehörten dazu und gehörten deshalb auch ins neue Gesetz. Der Nationale Ausländerrat solle damit auch reformiert und eventuell verkleinert werden. Komischerweise wurde die Möglichkeit einer Alphabetisierung auf Französisch neben Deutsch vorgeschlagen, nicht aber ein Umstieg auf eine Alphabetisierung auf Luxemburgisch, obwohl es sonst heißt, das sei die »Integrationssprache«. Déi Gréng paßten sich für mehr Miteinander stromlinienförmig an das Vorhergesagte an.

Für die adr warf Geographieprofessor Keup, der privat und im Fußballverein viel mit Integration zu tun habe, in die Runde, zu oft werde der Standpunkt der Luxemburger vergessen. Einwanderung gebe es seit 120 Jahren, sagt er, und Integration habe eigentlich gut funktioniert dank der öffentlichen Schule und dank des guten Willens aller Beteiligten. Es könne aber nicht sein, daß es die Regel werde, Französisch sprechen zu müssen an gewissen Orten. Keup protestierte dagegen, daß in der Hauptstadt bereits die Hälfte der Kinder nicht mehr die öffentliche Schule besucht – sein Kollege Reding hat diesen Protest noch in den Gemeinderat zu tragen. Die Frage, wie Integration da funktionieren soll, ist aber mehr als berechtigt. Mittels Motion wurde mehr Luxemburgisch auf Schildern verlangt und – Überraschung! – Sprachenkurse am Arbeitsplatz.

Die Lénk sieht das Hauptproblem darin, daß es bis zu drei Generationen braucht, bis Einwanderer akzeptiert werden. Die Pflicht zur Anwesenheit von fünf Jahren im Land, um bei Gemeindewahlen mitwählen zu dürfen, solle ersatzlos gestrichen werden.
Pirat Goergen hatte nur mehr Wiederholungen vom Zettel zu lesen. Das ist das Pech des letzten in der Reihe der Angepaßten.

Ministerin Cahen freute sich über die Beiträge und erklärte, sie sei auf der Suche nach dem größtmöglichen Konsens. Jedenfalls will sie Einwanderern auch die Kompetenz des Mülltrennens beibringen! Sie redete und redete, und so verschob sich das Abstimmen über die Motionen hinter unseren Redaktionsschluß. Aber die Motionen der CSV hatten schlechte Karten.

Kleiner Nachschlag

Die EU hat eine Liste von Staaten aufgestellt, die in Steuerfragen nicht kooperativ seien. Sie verlangt nun von den Mitgliedstaaten eine Schlechterstellung dieser, um Druck auf sie auszuüben. Dem beugt sich Luxemburg nun, indem es das Einkommenssteuerrecht so abändert, daß Zinsen und Abgaben, die in solchen Ländern bezahlt wurden, nur noch dann abzugsfähig sind, wenn nachgewiesen wird, daß sie im Zusammenhang mit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit stehen. Es geht also darum, eigene Bürger mit Bürokratie zu schikanieren, in der Hoffnung, das halte sie davon ab, in den Staaten auf der EU-Liste tätig zu werden, was deren Wirtschaft so weit schädigen soll, damit sie tun, was die EU in Steuerfragen fordert. Es ist das also nichts anderes als versuchte Erpressung. Ob es funktioniert, wird sich zeigen.

jmj