Kriegsverbrechen aufgedeckt
Vergewaltigung, Folter, Brandschatzung: Studie belegt niederländische Kolonialverbrechen in Indonesien
Im indonesischen Unabhängigkeitskrieg 1945 bis 1949 haben die Niederlande als koloniale Besatzungsmacht extremste Gewalt angewendet. Nicht als bedauerliche Ausnahme, sondern mit System. Das geht aus einer großangelegten, staatlich geförderten Studie mit dem Titel »Unabhängigkeit, Dekolonisation, Gewalt und Krieg in Indonesien« hervor, die am 17. Februar offiziell in Amsterdam vorgestellt wurde. (Die »Zeitung« berichtete) Urheber sind das Niederländische Institut für Kriegs-, Holocaust- und Genozidstudien, das Königliche Institut für Sprach-, Landes- und Völkerkunde und das Niederländische Institut für Militärgeschichte.
Als die Japaner in der Endphase des Zweiten Weltkriegs aus Indonesien abgezogen waren, erklärte das Land am 17. August 1945 seine Unabhängigkeit. Die Niederlande wollten das nicht hinnehmen. Sie betrachteten Indonesien als ihren Besitz, von dem sie einige Jahre vorher durch Japan vertrieben worden waren. Nach der Unabhängigkeitserklärung machten die indonesischen Freiheitskämpfer Jagd auf echte oder vermeintliche Kollaborateure: Chinesen, Molukker und niederländische Familien, die bereits seit Generationen in der Kolonie lebten.
Die Niederlande nahmen das als Vorwand, nach Indonesien zurückzukehren. Lange behauptete die Kolonialmacht, nach dem Abzug der Japaner seien von den Freiheitskämpfern zwischen 20.000 bis 30.000 Menschen getötet worden. Die aktuelle Studie schätzt die Zahl mit rund 6.000 deutlich niedriger ein.
Mit ihrer Rückkehr begannen die Niederlande einen blutigen Krieg, der vier Jahre dauerte und mindestens 100.000 Indonesier und etwas mehr als 5.000 niederländische Soldaten das Leben kostete. Hinrichtungen ohne Gerichtsurteil, Vergewaltigungen, Folter, Haft unter unmenschlichen Bedingungen und das Niederbrennen von Häusern und ganzen Dörfern – Militär- und Zivilgerichte ließen die Verantwortlichen ungestraft davonkommen. Die Regierung in Den Haag wußte von dem brutalen Vorgehen und tolerierte es. Das war möglich, weil es in den Niederlanden »eine breite öffentliche Unterstützung für den Krieg gab und er kaum hinterfragt wurde«, heißt es in der Studie.
Jahrzehntelang wurde an der Mär festgehalten, es habe »zwar Exzesse, aber keine systematischen Grausamkeiten« gegeben, die Armee habe sich »korrekt verhalten«. Dieser Standpunkt war nie haltbar und ist es durch die Studie erst recht nicht mehr.
Den Begriff »Kriegsverbrechen« vermeiden die Forscher, statt dessen sprechen sie von »extremer Gewalt«. Der Grund dafür ist pekuniär: Sollten die Niederlande offiziell zugeben, an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein, dürften erhebliche Entschädigungszahlungen der Nachfahren und des indonesischen Staats auf das Königreich zukommen.
»Wir müssen uns den beschämenden Tatsachen stellen«, sagte Premierminister Mark Rutte laut der Nachrichtenseite Nu nach der Veröffentlichung der Studie. »Die Niederlande haben einen Kolonialkrieg geführt, in dem systematisch und in großem Umfang extreme Gewalt angewendet wurde, bis hin zur Folter, die in den meisten Fällen ungestraft blieb.« Es habe eine Kultur des Wegschauens, des Abwälzens der Verantwortung und ein unangebrachtes koloniales Überlegenheitsgefühl bestanden. Rutte bat alle Indonesier um Entschuldigung. Mit Blick auf die Frage nach möglichen Kriegsverbrechen erklärte er, dies festzustellen sei nicht Aufgabe der Politik, sondern der Staatsanwaltschaft.
Scharfe Kritik an der Studie kommt aus der rechten Ecke. »Niederländische Militärs zu verurteilen, ist Geschichtsfälschung. Es waren Helden. Wir müssen hinter unseren Veteranen stehen. Entschuldigungen sind unangebracht«, tobte Geert Wilders am Tag der Veröffentlichung der Studie per Twitter.
Das sehen Zeitzeugen anders. »Die Niederlande haben Indonesien mit der Armee, Panzern und Flugzeugen angegriffen«, erinnert sich der heute 95-jährige Cisca Pattipilohy im »Provinciale Zeeuwse Courant«, der Regionalzeitung von Zeeland. »Sie hatten dort nichts zu suchen.«