Ausland21. Oktober 2009

Ein Nobelpreis für Evo

Boliviens Präsident verfolgt ein traumhaftes Programm

Wenn Barack Obama der Nobelpreis zuerkannt wurde, weil er die Wahlen in einer rassistischen Gesellschaft gewonnen hat, obwohl er Afroamerikaner ist, dann verdient Evo Morales den Preis ebenso. Auch er hat die Wahlen seines Landes Bolivien gewonnen, obwohl er Indio ist, und außerdem erfüllt er seine Versprechen.

In beiden Ländern hat zum ersten Mal ein Angehöriger der ethnischen Minderheit die Präsidentschaft errungen. Obama ist ein intelligenter und in einem System gebildeter Mann, an das er glaubt. Er hat nicht vor, das politische und Wirtschaftssystem seines Landes verändern, kann es nicht und will es nicht.

Die Meinungen über die Preisverleihung sind geteilt. Viele gehen von ethischen Standpunkten aus oder verweisen auf offensichtliche Widersprüche der überraschenden Entscheidung. Aber niemand hat den Namen Evo genannt. Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens bekleidet ein leibhaftiger Aymara das Präsidentenamt dieses Lands, das vom Befreier Simón Bolívar nach der Schlacht von Ayacucho geschaffen wurde, als der letzte spanische Vizekönig vor General Antonio José de Sucre die Waffen streckte.

Evo Morales wurde am 26.Oktober 1959 nicht weit entfernt von La Higuera geboren und war noch keine acht Jahre alt, als dort am 9. Oktober 1967 der verwundete und entwaffnete Che umgebracht wurde. Evo hat Schreiben und Lesen in spanischer Sprache gelernt. Er hat die kleine öffentliche Schule besucht, die fünf Kilometer von der Hütte entfernt war, in der er mit seinen Geschwistern und Eltern wohnte. Wo während seiner schwierigen Kindheit ein Lehrer war, dort war Evo. Von seinem Volk übernahm er drei Prinzipien: nicht lügen, nicht stehlen, nicht schwach sein.

Es ist kaum möglich, seine Entwicklung kurz zusammenzufassen. Nur soviel: Evo war in der Lage, die schrecklichen, verleumderischen Kampagnen des Imperialismus, dessen Staatsstreiche und die Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu besiegen und die Souveränität Boliviens und das Recht seines tausendjährigen Volkes auf die Respektierung seiner Sitten und Gebräuche zu verteidigen. »Koka ist nicht Kokain«, hat er dem größten Marihuana-Produzenten und Drogenkonsumenten der Welt ins Gesicht gesagt, dessen Markt das organisierte Verbrechen unterstützt und jährlich Abertausende Menschenleben in Mexiko fordert.

Bolivien, Venezuela und Ecuador gehen nicht in die tödliche Falle des Drogenhandels, denn sie sind revolutionäre Länder, die wie Kuba zur Staatengemeinschaft ALBA gehören. Sie wissen, was sie tun können und müssen, um ihren Völkern zu Gesundheit, Ausbildung und Wohlstand zu verhelfen. Sie benötigen keine ausländischen Truppen, um den Drogenhandel zu bekämpfen.

Bolivien bringt unter der Führung seines Aymara-Präsidenten ein traumhaftes Programm auf den Weg. In weniger als drei Jahren wurde der Analphabetismus überwunden: 824.101 Bolivianer haben Lesen und Schreiben gelernt, davon 24.699 in der Aymara- und 13.599 in der Quechua-Sprache. Bolivien war nach Kuba und Venezuela das dritte Land der Bolivarischen Allianz, das sich für frei vom Analphabetismus erklären konnte.

Bolivien bietet Millionen Menschen kostenlose ärztliche Versorgung, die sie vorher niemals bekommen haben. Es ist eines der sieben Länder der Welt, die in den letzten fünf Jahren die Kindersterblichkeit am stärksten gesenkt haben, und es hat die Möglichkeit, die Millenniums-Ziele noch vor 2015 zu erreichen.

In Bolivien ist ein ehrgeiziges Sozialprogramm in Gang gesetzt worden: Alle Kinder an öffentlichen Schulen bekommen von der ersten bis zur achten Klasse eine jährliche Zuwendung, um das Schulmaterial zu kaufen. Das betrifft fast zwei Millionen Schüler. Über 700.000 Menschen, die älter als 60 Jahre sind, erhalten einen Gutschein in Höhe von rund 342 Dollar im Jahr. Alle Schwangeren sowie Kinder unter zwei Jahren bekommen eine Unterstützung im Wert von rund 257 Dollar.

Bolivien, eines der drei ärmsten Länder dieser Hemisphäre, hat die wichtigsten Energie- und Mineralreserven des Landes unter staatliche Kontrolle gestellt und dabei die Interessen von jedem einzelnen der Betroffenen respektiert und entschädigt. Man geht vorsichtig zu Werke, um zu vermeiden, einen Schritt zurück zu gehen. Die Devisenreserven sind gestiegen. Evo verfügt über dreimal mehr Rücklagen als zu Beginn seiner Regierungszeit. Bolivien gehört zu den Ländern, die die internationale Kooperation am besten nutzen und die Umwelt bewußt schützen.

Am 6. Dezember wird es Wahlen geben. Die Unterstützung des Volkes für seinen Präsidenten wird mit Sicherheit wachsen. Nichts hat sein wachsendes Ansehen und seine Popularität aufhalten können.

Warum wird nicht Evo Morales der Friedensnobelpreis verliehen? Ich kenne seinen großen Nachteil: Er ist nicht Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Fidel Castro