Leitartikel11. Juni 2009

Enttäuschte Hoffnungen

von

In einer AP-Meldung über das Angebot des winzigen, erst 1994 aus US-amerikanischer »Treuhandschaft« entlassenen Inselstaates Palau, bis zu 17 chinesische Bürger muslimischen Glaubens aus dem US-Sonderlager Guantánamo vorübergehend aufzunehmen, heißt es: »Die USA wollen die Uiguren nicht in ihre Heimat China zurückschicken, weil ihnen dort nach Einschätzung Washingtons Folter und Hinrichtung drohen könnten.«

Solche »Einschätzungen« kommen von einer US-Administration, die vor zwei Wochen im Kongreß mit ihrem Plan gescheitert war, das von ihren Vorgängern eingerichtete Folterlager zu schließen. – So wie Obama das im Präsidentschaftswahlkampf versprochen hatte. Mittlerweile läßt Bushs Nachfolger im Weißen Haus verlauten, Guantánamo sei nun nichts weiter als ein gut geführtes Gefängnis, das längst internationalen Standards entspreche.

Seit Jahren mit der Angelegenheit befaßte Menschenrechtsorganisationen und vor allem die Anwälte der Gefangenen sehen das freilich anders und verweisen auf die nach wie vor unmenschlichen Haftbedingungen in Guantánamo. So würden viele Gefangene weiterhin in Einzelhaft gehalten.
Viele Häftlinge seien verzweifelt und sähen sich in ihren Hoffnungen auf die von Obama versprochene Wende getäuscht, erklärte etwa David H. Remes, ein Rechtsanwalt, der 16 Guantánamo-Häftlinge aus dem Jemen vertritt. Bis vergangene Woche hatte Remes noch 17 jemenitische Mandanten, die alle in dem US-Lager gefangengehalten wurden, doch dann teilte ihm die US-Armee knapp mit, nachdem sich sein Mandant Mohammad Ahmed Abdullah Saleh Al Hanashi bis Mitte Mai im Hungerstreik befunden habe, habe er in seinem 32. Lebensjahr »offenbar Selbstmord« begangen.

Bereits in einem Ende Februar veröffentlichten Bericht stellte die US-Menschenrechtsorganisation »Center for Constitutional Rights« (CCR) fest, daß trotz Obamas Anordnung, in Guantánamo keine Folter mehr anzuwenden, die berüchtigten »Immediate Reaction Forces« (IRF) der US-Armee dort nach wie vor sehr aktiv sind. Die Gefangenen lebten in ständiger Angst vor physischer Gewalt.

Ahmed Ghappour, ein anderer Guantánamo-Anwalt, berichtete Reuters am 25. Februar, seine Mandanten hätten sogar von einer »Steigerung des Mißbrauchs« seit der Wahl Obamas zum Präsidenten berichtet. – Einschließlich »Schlägen, dem Verrenken von Gliedmaßen, dem Einleiten von Pfefferspray in geschlossene Zellen, dem Besprühen von Toilettenpapier mit Pfefferspray und der übermäßig gewaltsamen Zwangsernährung von Gefangenen, die sich im Hungerstreik befinden«.
Mitte April gelang es Hamid al-Kurani, einem 21 Jahre alten Gefangenen aus dem Tschad, den arabischen Fernsehsender Al Dschasira anzurufen, wobei er ebenfalls schwere Mißhandlungen auch unter der neuen US-Administration beschrieb. »Sie hatten einen dicken Gummiknüppel, mit dem sie mich schlugen«, erklärte der 2002 als 14-jähriger Junge von der pakistanischen Polizei an die US-Armee übergebene Häftling Nr. 269 im ersten Interview, das je ein Guantánamo-Insasse aus dem Sonderlager heraus führte.

In einem anderen Fall, ebenfalls nach Obamas Amtseinführung, wurde der Gefangene Khan Tumani den Angaben seines Anwalts zufolge von einem zehnköpfigen IRF-Team brutal verprügelt und mit Reizgas traktiert, nachdem er Exkremente an die Wand seiner Zelle geschmiert hatte, um gegen seine Behandlung zu protestieren.

Das CCR hat Präsident Obama aufgefordert, den Einsatz von IRF-Teams in Guantánamo sofort zu beenden. – Bisher offenbar ohne Erfolg.

Oliver Wagner