Ausland12. März 2020

Kampf um Idlib

Russische und türkische Militärs in Ankara

Die türkisch-russischen Gespräche über das kürzlich in Moskau vereinbarte Waffenstillstandsabkommen für die nordwestsyrische Provinz Idlib wurden gestern in Ankara fortgesetzt. Am Mittwoch waren Delegationen der Streitkräfte beider Länder zu einer ersten Verhandlungsrunde zusammengekommen. Der türkische Kriegsminister Hulusi Akar bezeichnete die Kontakte zwischen beiden Seiten als »positiv und konstruktiv«.

Aufgabe der Militärs beider Länder ist es, die Vereinbarungen zu konkretisieren, die vor wenigen Tagen in Moskau zwischen den Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyib Erdogan unterzeichnet worden waren, zu konkretisieren. Dabei geht es vor allem um die Markierung einer Art Schutzzone um die Abschnitte der Autobahn M4, die noch von Dschihadisten und der türkischen Armee kontrolliert werden. Dabei müssen drei wesentliche Fragen geklärt werden: a) Patrouillen von russischer und syrischer Militärpolizei entlang der Autobahn M4, b) der Verlauf einer sechs Kilometer breiten Sicherheitszone nördlich der Autobahn und c) der Verlauf einer sechs Kilometer breiten Sicherheitszone südlich der Autobahn.

Geklärt werden muß zudem, wie mit den Dschihadisten und türkischen Truppen südlich der Autobahn M4 verfahren werden soll. Ein weiterer Punkt ist die Frage der humanitären Hilfe für das Gebiet und seine rund 2,5 Millionen Zivilisten.

Schwierige Verhandlungen um neuen Waffenstillstand

Von türkischer Seite war zu hören, daß die Kontrolle nördlich der M4 von der Türkei übernommen werden soll, südlich soll Rußland kontrollieren. Der genaue Verlauf dieser »Pufferzone« – also welche Dörfer und welche Kreuzungen innerhalb und welche außerhalb der Schutzzone liegen – muß von den russischen und türkischen Militärs bis zum Wochenende ausgehandelt werden. Kriegsminister Akar verwies am Mittwoch auf Pläne »am 15. März gemeinsame Patrouillen entlang der Autobahn M4« aufzunehmen.

Die Türkei hat die Interessen der Dschihadisten zu berücksichtigen, an deren Seite die türkische Armee inzwischen offen im militärischen Einsatz ist und diese damit de facto schützt. Rußland muß die Vereinbarung mit Syrien absprechen, da es sich bei der Provinz Idlib um syrisches Territorium handelt. Eine Zustimmung Syriens zu einer türkisch-russischen Vereinbarung wird – wenn überhaupt – nur temporär erfolgen. Ziel Syriens ist es, das Land sowohl von den türkischen Truppen als auch von den Dschihadisten zu befreien. Sowohl für Rußland als auch für die Türkei ist die Wahrung der territorialen Integrität Syriens Grundlage ihrer Kooperation.

Jenseits der russisch-türkischen Gespräche setzt der türkische Präsident Erdogan seine Drohungen gegen Syrien fort. Sollte nur einer der türkischen Beobachtungsposten in Idlib angegriffen werden, werde »die Türkei mehr als nur Vergeltung üben«, so Erdogan bei einem Treffen der Regierungspartei AKP in Ankara am Mittwoch. »Wir beobachten genau das Vorgehen des Assad-Regimes und seiner Milizen nahe der Waffenstillstandslinien«, so Erdogan. Man werde sich an den Waffenstillstand so lange halten, wie »das Assad-Regime« und seine Verbündeten ihn einhielten.

USA-Aufklärung für türkische und dschihadistische Truppen

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte zuvor offengelegt, daß die USA-Administration zum Schutz der türkischen und dschihadistischen Truppen angeboten habe, das Gebiet von Idlib auf dem Land, zur See und aus der Luft zu überwachen und der Türkei die Daten zur Verfügung zu stellen.

Bekräftigt wurde das vom USA-Sonderbeauftragte für Syrien, James Jeffrey und dem USA-Botschafter in der Türkei, David Satterfield, die am Dienstag zu Gesprächen mit der NATO und der EU nach Brüssel gereist waren. Im Anschluß äußerten sich beide in einer Telefonkonferenz gegenüber Journalisten.

Bei den Gesprächen sei es um Idlib gegangen, wo die Krise trotz Waffenstillstand anhalte, erklärte Botschafter Jeffrey. »Idlib ist der Schwerpunkt des gesamten syrischen Konflikts seit 2011, weil das Assad Regime mit Unterstützung von Iran und Rußland dort einen militärischen Sieg erreichen will.« Man müsse dringend etwas gegen das Risiko unternehmen, daß 3,5 Millionen Flüchtlinge und Inlandsvertriebene aus Idlib »über die Grenze kommen, die Türkei destabilisieren und vielleicht weiter nach Europa ziehen, wenn der Waffenstillstand nicht hält«, so Jeffrey. NATO und EU berieten darüber, welche »Schritte für die Sicherheit, humanitär, wirtschaftlich und diplomatisch« in Idlib unternommen werden könnten, um das zu verhindern.

USA-Diplomat Satterfield machte »die russische Aggression« für die Lage in Idlib verantwortlich. Es sei erforderlich, daß »die territorialen Vorstöße« der syrischen und russischen Seite gestoppt werden müßten. Auf die Frage, ob die NATO Truppen nach Idlib senden werde, antwortete Jeffrey: »Ich glaube, Sie können Bodentruppen vergessen (…), die Türkei hat gezeigt, daß sie und ihre Oppositionskräfte mehr als in der Lage sind, sich selber zu verteidigen. Schwierig sind die Luftangriffe, darüber denken wir nach.«

Bei den Oppositionskräften, die mit der türkischen NATO-Armee kooperieren, handelt es sich um Dschihadisten und Al-Qaida-nahe Söldner der »Allianz zur Befreiung Syriens«, (Hayat Tahrir al Sham, HTS), die vom UNO-Sicherheitsrat als »Terrororganisation« gelistet sind.

In einem Bericht des US-amerikanischen Think Tanks Atlantic Council von Ende Februar heißt es, daß die Zahl der bewaffneten Islamisten in Idlib zwischen 40.000 und 70.000 liege. Die UNO geht davon aus, daß die terroristische HTS und Verbündete über bis zu 17.000 Bewaffnete verfügen.

Der Sprecher der USA-geführten »Anti-IS-Allianz« Colonel Myles Caggins, hatte kürzlich in einem Interview erklärt, »die Provinz Idlib scheint ein Magnet für Terrorgruppen zu sein. Vor allem, weil es in vielerlei Hinsicht dort keine Regierungskontrolle gibt.«

Karin Leukefeld