Einflußkampf im Baltikum
Die Bundesrepublik Deutschland intensiviert ihren Einfluß im Baltikum. Luxemburg in militärische Drohungen involviert
Die deutsche Bundesregierung bereitet den nächsten Schritt beim Ausbau der deutschen Militärpräsenz im Baltikum vor und kündigt die dauerhafte Stationierung einer Brigade in Litauen an. Dazu sollen, wie ein Regierungssprecher in Berlin bestätigt, die im Rahmen der »enhanced Forward Presence« (eFP) und der »enhanced Vigilance Activities« (eVA) der NATO bereits in Litauen stationierten deutschen Truppen »in einem noch zu bestimmenden Zeitrahmen« zusammengeführt und zu einer »kampfstarken Brigade« aufgestockt werden.
Letztlich will Berlin rund 4.000 deutsche Soldaten – gegebenenfalls mit ihren Familien – dauerhaft in den baltischen Staat verlegen. Vilnius habe dies zugesichert. Mit der geplanten festen Stationierung einer kompletten Brigade in Litauen unterstreicht Deutschland seinen Anspruch, militärische Schlüsselmacht in der geostrategisch bedeutenden Ostseeregion zu sein. Der Aufbau einer entsprechenden Militärpräsenz hat bereits 2014 begonnen.
Luxemburger unter deutschem Kommando
Den Weg zum jetzt geplanten Brigadestützpunkt hat Berlin faktisch bereits seit 2017 mit der Stationierung eines Bataillons im Rahmen der sogenannten »enhanced Forward Presence« (eFP) geebnet und mit dem »Forward Command Element« (FCE) als Teil der sogenannten »enhanced Vigilance Activies« (eVA) seit 2022 konkret vorbereitet. Die von Deutschland geführte »enhanced Forward Presence Battlegroup« Litauen hat derzeit laut Informationen der Bundeswehr eine Stärke von rund 1.700 Soldatinnen und Soldaten.
Zur Battlegroup Litauen unter deutschem Kommando gehören außerdem Soldaten aus den Niederlanden, Belgien, Norwegen, Tschechien, Kroatien und Luxemburg. Ungeachtet der geringen Personalstärke in der eFP ist Luxemburgs Armee damit in die militärischen Pläne und Drohgebärden fest integriert.
Zur Zeit besteht das FCE nach Angaben der Bundeswehr aus rund 20 dauerhaft in Litauen stationierten Soldaten – einer Einheit, die kurzfristig auf Brigadestärke aufgestockt werden kann. Die dafür notwendigen rund 4.000 Soldaten hält die Bundeswehr auf deutschem Territorium in Bereitschaft.
Aufgabe des FCE ist die »stete Integration der [deutschen] Brigade« in Litauen. Es soll zudem ein »Bindeglied« zu den litauischen Streitkräften sein und »die Verlegung von Personal und Material einer Kampfbrigade von Deutschland an die NATO-Ostflanke vorbereiten«. Unter deutschen Politikern und Militärs herrscht die Hoffnung, das FCE in Litauen könne »beispielgebend für die neue Verteidigungsstruktur der NATO« werden.
Hintergrund ist das Vorhaben des Militärbündnisses, in seinem Machtkampf mit Rußland regionale Verantwortlichkeiten unter seinen Mitgliedstaaten festzulegen. »Mit seinem Forward Command Element in Litauen« sei Deutschland dabei »führend«, lautet die Einschätzung des sozialdemokratischen deutschen Kriegsministers Boris Pistorius im Februar 2023.
»Den Feind
vernichten«
Seit seiner Indienststellung im vergangenen Jahr hat das FCE gemeinsam mit den litauischen Streitkräften mehrere Manöver unter Bezeichnungen wie »Iron Wolf«, »Resolute Stallion«, »Saber Strike«, »Flaming Thunder« oder »Eager Leopard« abgehalten – »jeweils mit steigender Intensität«, berichtete die Bundeswehr stolz Ende Juni 2023. Ziel dieser Übungen ist einerseits der Fähigkeitsausbau in Zusammenarbeit mit den litauischen Truppen. Andererseits sollen die Manöver den transatlantischen Verbündeten den Erfolg des deutschen Pilotprojektes demonstrieren. Bei der jüngsten Kriegsübung »Griffin Storm« im Juni waren NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und andere NATO-Funktionäre zeitweise als Beobachter präsent.
Während des von der Bundeswehr organisierten Manövers trainierten rund 1.000 deutsche und litauische Soldaten mit mehr als 300 Fahrzeugen gemeinsame Operationen an der »NATO-Ostflanke gegen gegnerische Kräfte«. »Deutsche und Litauer feuern aus allen Rohren«, schilderte die Bundeswehr das Manöver am 24. Juni: »Während die litauische Armee … den Feind in die Deckung zwingt, vernichten die deutschen Kampfpanzer den Feind«. Faktisch sind damit russische Truppen gemeint. Die Bedrohung durch Rußland sei »nicht abstrakt, sondern real«, lautet die Einschätzung der Bundeswehr in diesem Zusammenhang.
Geostrategische Schlüsselregion
Die Kontrolle der Ostseeregion werde »in einer nicht mehr auszuschließenden Konfrontation« mit Rußland »eine militärische Priorität für alle Beteiligten« sein, urteilen Strategen der vom Berliner Kanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Noch habe Rußland »legitime Rechte«, die »lebenswichtigen Seeverbindungslinien in der Ostsee zu seinen Gebieten zu nutzen«. Komme es allerdings zu einem »bewaffneten Konflikt«, könne sich dies »dramatisch ändern«. »Blockaden und militärische Operationen« auf der Ostsee seien ein »großer Hebel« für die NATO in der Großmachtrivalität mit Rußland.
Das westliche Militärbündnis könne im Kriegsfalle die Ostsee »für russische Nutzung« »sperren«, hieß es bereits im Januar 2023 bei der SWP. Die Ostseeregion nimmt in den geostrategischen Planungen des NATO-Blocks seit den Maidan-Protesten in der Ukraine im Jahr 2014 immer größeren Raum ein. Damals hatte die NATO im Rahmen des sogenannten »Readiness Action Plan« die bis heute andauernde Militarisierung der Region begonnen.
Regionaler
Führungsstreit
Die militärische Präsenz in Litauen ist nicht die einzige Anstrengung, die Deutschland unternimmt, um seinen »Führungswillen« in der strategischen Schlüsselregion durchzusetzen. Mit dem Marinekommando in Rostock beispielsweise erhebt Berlin den Anspruch, die Führung über Maritime Operationen der NATO auf der Ostsee zu übernehmen.
Die deutschen Ambitionen sind innerhalb der NATO allerdings nicht unumstritten. Auch Polen etwa erhebt – mit Rückendeckung durch die USA – Ansprüche auf eine Führungsrolle im Baltikum. Vor diesem Hintergrund hat Berlin kürzlich das sogenannte 3+3-Format initiiert, in dem die drei Truppensteller der »enhanced Forward Presence« (eFP) im Baltikum – Deutschland, Kanada und Britannien – mit den drei baltischen Staaten zusammenkommen. Der vierte eFP-Truppensteller, die USA, sowie das vierte Stationierungsland, Polen, sind nicht beteiligt. Der »Führungsstreit« unter den Verbündeten sei zur Zeit die »größte Herausforderung« bei der Umsetzung des neuen Streitkräftemodells der NATO, urteilt die SWP.