Was geschah in Tadamon?
USA-Außenministerium berichtet über »Massaker des Assad-Regimes« an Zivilisten. Die »Nachricht« wird von westlichen Medien genüßlich verbreitet
Tadamon ist ein Stadtviertel im Süden von Damaskus. Wie im benachbarten Ortsteil Yarmuk gab es vor dem Krieg auch in Tadamon eine große palästinensische Bevölkerung. Tadamon wird im Westen von Yarmuk durch die Palästina-Straße getrennt. Die südliche Spitze von Tadamon grenzt an Babila und Yalda. Im Norden, Richtung Stadtzentrum, liegen die Viertel Al Zahera und Al Midan.
Ned Price, Sprecher des USA-Außenministeriums, erklärte vor wenigen Tagen in Washington, im Damaszener Ortsteil Tadamon habe es 2013 »ein Massaker« gegeben. Die Gräueltat sei auf einem Video dokumentiert, das kürzlich auf Facebook veröffentlicht worden sei. In dem wenige Minuten langen Film sei zu sehen, wie unbewaffnete Zivilisten »von einem Offiziellen des Assad-Regimes« erschossen würden und dann in »ein Massengrab in Tadamon« fielen. Die Menschen hätten Augenbinden getragen, behauptete Price, Hunderte seien erschossen worden.
Das Video sei ein »weiterer Beweis für die Kriegsverbrechen, die das Assad-Regime« begangen habe und es sei ein »erschütterndes Beispiel der Schrecken, denen das syrische Volk seit mehr als einem Jahrzehnt ausgesetzt« sei. Das Außenministerium der USA werde weiterhin die »tapferen Individuen unterstützen«, die daran arbeiteten, »Assad und sein Regime der Gerechtigkeit zuzuführen«. Oft riskierten sie dabei ihr Leben, erklärte Ned Price, der von 2006 bis 2017 Mitarbeiter des USA-Geheimdienstes CIA war.
Die britische Tageszeitung »The Guardian« schrieb daraufhin, 41 Menschen seien an jenem 16. April 2013 in Tadamon ermordet und in dem Massengrab später verbrannt worden. Der Täter, dessen Name genannt wird, sei ein Offizier der »Abteilung 227 des militärischen Geheimdienstes«. Der »Guardian« liefert eine filmreife Geschichte dazu, wie er angeblich aufgespürt wurde.
Ohne Zweifel ist die syrische Bevölkerung seit mehr als zehn Jahren Angst und Schrecken und vor allem einer schier unaufhaltsamen Verarmung ausgesetzt. Tadamon ist ein Beispiel, wie der Krieg die Bevölkerung drangsalierte. Dazu lohnt sich eine Recherche vor Ort.
Geflüchtet aus Tadamon
Frau S., die aus Tadamon stammt, hat das Video auf Facebook gesehen. In Damaskus berichtet sie, daß der Mann, der in dem Video offenbar unbewaffnete Zivilisten erschießt, aus Sweida stamme. Sie bezeichnet ihn als »DAESH«, als jemand, der dem »Islamischen Staat« angehört. Das habe sie von anderen Bewohnern aus Tadamon gehört. Ja, sie habe von einem Massaker in Tadamon gehört, war aber, wie die meisten Menschen damals, längst von dort geflohen. Als Grund für ihre Flucht gibt S. an, daß der Ortsteil seit 2012 von den »Rebellen«, also den bewaffneten Regierungsgegnern kontrolliert worden sei, nicht von der syrischen Armee. Sie und ihre Familie seien vor den bewaffneten »Fremden aus Deraa«, geflohen.
Auch Frau M., die ebenfalls aus Tadamon stammt, hat von einem Massaker gehört. Sie wisse nicht, ob es wirklich geschehen oder ein Gerücht sei. Die Leute erzählten sich, daß die »Rebellen der Opposition« ein Massaker begangen hätten. Möglich sei das, weil diese seit 2012 den Ort kontrolliert hätten. M. berichtet, daß ihr Vater, der am Flughafen gearbeitet hatte, kurz nach ihrer Flucht im Sommer 2012 nach Tadamon zurückgegangen sei. Er wollte prüfen, ob die Wohnung der Familie noch in Ordnung, ob etwas gestohlen oder zerstört worden sei.
Als der Vater in der Wohnung war, sei ein Nachbar mit einigen jungen Männern gekommen, das seien »Fremde aus Deraa« gewesen. Die Fremden hätten ihren Vater beschuldigt, für den syrischen Geheimdienst zu arbeiten, und einer dieser Fremden, ein junger Mann, habe ihren Vater erschossen. Er habe ihn von hinten in den Rücken geschossen. Das habe der Nachbar der Familie später gesagt. Die Familie wisse nicht, ob das stimmt. Vielleicht habe der Nachbar auch eine andere Rolle gespielt. Der Leichnam des Vaters sei nie gefunden worden. Auch M. berichtet, daß die Bewohner von Tadamon schon 2012 vor den bewaffneten »Rebellen« geflohen seien und daß die syrische Armee den Ort gar nicht erreichen konnte. 2013 sei praktisch ganz Tadamon in den Händen der bewaffneten Regierungsgegner gewesen.
Nichts läßt sich verbergen
Auch der ehemalige Polizeioffizier und Arzt M. aus Damaskus hat sich auf Anfrage der Autorin das Video über das Massaker in Tadamon angesehen. »Nichts läßt sich in Damaskus verbergen«, sagt er und weist auf Ungereimtheiten hin. Tadamon sei ein Ortsteil innerhalb der Hauptstadt, und die Bevölkerung sehr gemischt. Man müsse sich fragen, warum die bewaffnete Opposition, die damals in der Offensive und in der Lage war, eine Antwort zu geben, auf so ein Massaker nicht reagiert habe.
Wie könne es sein, daß das Video – das dem Bericht zufolge schon 2019 vorgelegen habe – drei Jahre lang nicht veröffentlicht wurde? Der Mann, der die Erschießungen vornahm, sei Unteroffizier gewesen. Er habe weder Auftrag noch Befugnis gehabt, Zivilisten zu töten. Selbst wenn der Mann persönlich vielleicht habe Rache nehmen wollen, sei es sehr unwahrscheinlich, daß keiner seiner Vorgesetzten von dem Verhalten erfahren habe.
Die Zahl der Opfer werde mit 288 angegeben, sagte der ehemalige Polizeioffizier M. weiter. Doch es gebe keine Namen der Opfer. Er sei im April 2013 in einer Polizeistation am Al-Marjah-Platz eingesetzt gewesen, nicht weit von Tadamon entfernt. Viele seiner Kollegen waren Bewohner aus Tadamon, und Nachrichten hätten sich damals in Windeseile verbreitet. Doch von einem Massaker habe er damals nichts gehört.
Schon zu einem früheren Zeitpunkt im Jahr 2021 hatte die Autorin sich bei einer internationalen Hilfsorganisation in Damaskus nach Funden von Massengräbern erkundigt. Syrische oppositionelle Organisationen hatten damals im europäischen Ausland darüber berichtet. Die Organisation kann namentlich nicht genannt werden, weil es sich um ein Hintergrundgespräch handelte. Die Antwort fiel kurz aus. Seit Jahrzehnten arbeite man in Syrien und habe Kontakte in alle Teile der Gesellschaft. Man habe von Funden von Massengräbern gehört, könne Massengräber aber aus eigener Anschauung aber nicht bestätigen.
Was also geschah in Tadamon?
Amnestie erlassen
Der syrische Präsident Bashar al Assad hat derweil zum diesjährigen Eid al-Fitr Fest, dem Fest des Fastenbrechens, erneut eine weitreichende Amnestie erlassen. Das berichteten Medien am vergangenen Samstag. Assad erließ demnach eine »allgemeine Amnestie für alle, die terroristischer Verbrechen« beschuldigt werden. Ausnahme sei allerdings, wenn die Tat zum Tod eines Menschen geführt habe. Die Amnestie bedeutet, daß die Strafverfolgung wegen »terroristischer Vergehen« aufgehoben wird. Zivilklagen sind weiter zulässig.