Israel plant Krieg gegen Libanon
Spekulationen und Folgen eines tödlichen Angriffs auf den von Israel annektierten Golan-Höhen
Israel hat am Sonntag zahlreiche Ziele im Libanon bombardiert. Die israelische Armee erklärte, sie habe Waffenlager und Infrastruktur der Hisbollah in der Beeka-Ebene, in Tyre und in zahlreichen Orten im Südlibanon zerstört. Am Sonntagabend wurden bei einem israelischen Drohnenangriff an der Waffenstillstandslinie »Blaue Linie« zwei Menschen getötet und drei weitere verletzt.
Die israelische Armee bezeichnete die Angriffswelle als Vergeltung für einen tödlichen Angriff auf ein Fußballfeld in Majdal Shams auf den von Israel annektierten Golan-Höhen. Dabei waren am späten Samstagnachmittag zwölf Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 20 Jahren getötet worden. Israel machte umgehend die Hisbollah verantwortlich. Die Hisbollah erklärte, sie habe mit dem Angriff nichts zu tun.
In einer Erklärung des israelischen Außenministeriums hieß es, die »Terrororganisation« (Hisbollah) töte absichtlich Zivilisten. Sie sei für »das Massaker« verantwortlich und habe »alle roten Linien« überschritten. Der israelische Energieminister Eli Cohen forderte, »Libanon soll brennen«.
Der Oberkommandierende der israelischen Streitkräfte Herzi Halevi erklärte, das Fußballfeld sei von einer Falaq-Rakete iranischer Bauart getroffen worden. Die »Hisbollah-Rakete« sei mit 53 Kilogramm Sprengstoff geladen gewesen. »Wer so eine Rakete in bewohntes Gebiet feuert, will Zivilisten und Kinder töten«, so Halevi in einer Videonachricht am Sonntagmorgen aus Majdal Shams.
Am Sonntagnachmittag tagte nach Rückkehr von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aus Washington das israelische Sicherheitskabinett. Anschließend hieß es, das Kabinett habe Netanjahu und »Verteidigungsminister« Yoav Gallant ermächtigt, über Art und Zeitpunkt eines Angriffs auf den den Libanon zu entscheiden.
Hisbollah weist Anschuldigung zurück
Die Hisbollah hatte bereits am Samstag, unmittelbar nach den ersten Vorwürfen aus Israel, kategorisch erklärt, sie sei nicht für den Angriff verantwortlich. Man weise »die falschen Behauptungen einiger feindlicher Medien und verschiedener Plattformen über einen Angriff auf Majdal Shams kategorisch zurück«, hieß es in einer kurzen Stellungnahme. Die Hisbollah stehe »in keiner Weise mit dem Vorfall in Verbindung« und weise »alle falschen Behauptungen in diesem Zusammenhang unmißverständlich zurück.« Gegenüber der UNO-Mission für den Libanon (UNIFIL) sagte ein Vertreter der Hisbollah, es habe sich vermutlich um eine fehlgeleitete israelische Abfangrakete gehandelt, die die Explosion auf dem Fußballplatz verursacht habe.
Auf die israelischen Angriffe reagierte die Hisbollah am Sonntag mit zwölf Angriffen, die sie – wie üblich – genau mit Ziel, Grund und Art der eingesetzten Waffen – dokumentierte. Angriffsziele waren vor allem Überwachungs- und Abhöranlagen der israelischen Streitkräfte entlang der »Blauen Linie« sowie Militärstellungen und Militärbasen. Eingesetzt wurden demnach Katjuscha-, Falaq- und Burkan-Raketen. Als Grund für die Angriffe wurden israelische Angriffe auf den Ort Kfar Kila und umliegende Orte im Südlibanon genannt.
Internationale Reaktionen
Während die USA und Israel auf der israelischen Darstellung über den Vorfall auf den von Israel annektierten Golanhöhen beharrten, forderte der EU-Außenbeauftragte Joseph Borrell eine internationale Untersuchung, um den Vorgang aufzuklären. Der Leiter der UNIFIL-Mission im Libanon, Generalleutnant Aroldo Lázaro, forderte alle Seite zu absoluter Zurückhaltung auf.
Der Beauftragte des USA-Präsidenten für Israel-Libanon, Amos Hochstein, telefonierte mit Benjamin Netanjahu und warnte ihn, keinesfalls die libanesische Hauptstadt Beirut anzugreifen. Bei einem Telefonat Hochsteins mit dem Führer der libanesischen Drusen Walid Jumblatt wiederholte dieser gegenüber Hochstein, daß »alles getan werden muß, um die israelische Aggression gegen Palästina und Libanon zu stoppen«. Den Familien der getöteten Kinder in Majdal Shams sprach Jumblatt sein Mitgefühl aus, wie die Progressive Sozialistische Partei (PSP) mitteilte. Eine Eskalation müsse vermieden werden, so Jumblatt. Israel tue hingegen alles »um Konflikte und die Zersplitterung der Region zu befeuern«.
Der libanesische Interims-Ministerpräsident Najib Mikati verurteilte in einer Erklärung »jede Gewalt und alle Angriffe auf Zivilisten«. Die »Feindseligkeiten an allen Fronten« müßten aufhören. Mikati äußerte sich nicht persönlich, da er aktuell die libanesische Delegation bei den Olympischen Spielen in Paris besucht. Außenminister Abdallah Bou Habib warnte, ein israelischer Krieg gegen den Libanon werde einen regionalen Krieg auslösen. Ähnlich äußerte sich Mohammed Raad, Vorsitzender des Blocks für Loyalität und Widerstand im libanesischen Parlament. Ein israelischer Angriff auf den Libanon werde sich auf die ganze Region ausweiten und »das Regime (in Israel) zerstören«.
Ablenken von zehn Monaten Massenmord im Gazastreifen
Der Sprecher des iranischen Außenministeriums Nasser Kanaani warnte Israel, unter einem Vorwand einen Krieg gegen den Libanon zu beginnen. Israel versuche die Weltöffentlichkeit von »zehn Monaten Massenmord im Gazastreifen und Massenmord an palästinensischen Kindern und Frauen« abzulenken.
Die israelischen Streitkräfte hatten am Samstagmorgen erneut eine Schule im südlichen Gazastreifen angegriffen. Örtlichen Berichten zufolge wurden dabei mindestens 30 Menschen in der Khadija Schule in Deir el-Balah getötet, darunter 15 Kinder. In der Schule befand sich auch ein Notlazarett. Israel gab an, ein »Kommando- und Kontrollzentrum der Hamas« zerstört zu haben. Inerhalb von 24 Stunden von Samstag zu Sonntag meldete das palästinensische Gesundheitsministerium in Gaza mindestens 66 Tote. Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen stieg auf 39.324.
Libanon wartet
Zahlreiche Fluglinien stellten bis auf Weiteres ihre Flüge nach Beirut ein. Die Lufthansa kündigte zunächst ein Aussetzen der Flüge bis zum heutigen Dienstag an. Nur wenige Stunden später hieß es, alle Flüge der Lufthansa von und nach Beirut würden bis zum 5. August eingestellt.
Nach Angaben aus Beirut blieb der Flughafen Beirut von Sonntag auf Montag aus »versicherungstechnischen Gründen« geschlossen. Anwohner berichteten allerdings, daß die Flüge am Montagmorgen wiederaufgenommen worden seien. Die Sommermonate sind für den Libanon und den Flughafen Beirut eine wichtige Einnahmequelle. Millionen Auslandslibanesen kommen zwischen Juni und September, um ihre Familien in der Heimat zu besuchen, Flüge sind in diesem Zeitraum fast vollständig ausgebucht.
Majdal Shams
Der Ort Majdal Shams gehört – wie auch die Golan-Höhen – zu Syrien. Die Golan-Höhen wurden von Israel 1967 besetzt und 1981 völkerrechtswidrig annektiert. Die UNO hat auf den Golan-Höhen seit 1974 eine Beobachtungsmission stationiert, UNDOF. Da diese UNO-Beobachtermission alle Vorgänge auf den Golan-Höhen genau verfolgt und dokumentiert, dürfte dort auch bekannt sein, wie es am Samstag zu dem Einschlag einer Rakete auf dem Fußballplatz gekommen ist.
Majdal Shams wird von syrischen arabischen Drusen und Christen bewohnt, die bis heute auf ihrer syrischen Nationalität beharren. Versuche der israelischen Regierung, den Tod der Kinder auf dem Fußballplatz für einen Angriff auf Libanon zu instrumentalisieren, wurden zurückgewiesen. Ghaleb Seif, Vorsitzender einer Drusen Initiative auf den besetzten Golan Höhen erklärte gegenüber Journalisten, daß ständig »israelische Abwehrraketen auf drusische Dörfer auf dem Golan und in Galiläa fallen«, Eigentum und Agrarland zerstörten und Menschen verletzten. Die Teilnahme israelischer Offizieller an den Trauerfeierlichkeiten für die Kinder in Majdal Shams wurde zurückgewiesen.