Referendum in Neukaledonien für Frankreich
Für die Unabhängigkeitsbewegung ist das Votum nicht legitim
Beim dritten und vorläufig letzten Referendum in Neukaledonien über die Unabhängigkeit der im Pazifik gelegenen Inselgruppe stimmten am Sonntag 96,49 Prozent der Wähler mit Nein und damit für den Verbleib bei Frankreich. Allerdings hatten viele Neukaledonier den Boykottaufruf der Unabhängigkeitsbewegung FLNKS befolgt, so daß die Wahlbeteiligung mit 43,49 Prozent nur halb so hoch war wie beim ersten Referendum 2018.
Die FLNKS hatte wegen der Corona-Pandemie vergebens eine Verlegung des Votums gefordert und erkennt jetzt das Ergebnis nicht als legitim an. Sie lehnt auch eine Begegnung mit dem vor Ort weilenden Minister für die französischen Überseedepartements und -gebiete Sébastien Lecornu ab und erklärt, sie warte die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April und Juni 2022 ab und wolle dann mit der neuen Regierung über die Zukunft der Inselgruppe verhandeln. Das Abkommen von Numéa, in dem vor 30 Jahren drei Referenden vereinbart worden waren, sei überholt, erklärte ein FLNKS-Sprecher. »Notfalls machen wir auch noch ein siebentes, ein achtes oder ein fünfzehntes Referendum.«
Präsident Emmanuel Macron hat unmittelbar nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses erklärt: »Heute ist Frankreich noch schöner, denn Neukaledonien hat dafür gestimmt, französisch zu bleiben. Das erfüllt uns mit Stolz.« Gleichzeitig räumte er ein: »Wir können nicht übersehen, daß die Wählerschaft weiterhin tief gespalten ist.« Um das zu überwinden, werde man noch Zeit brauchen. »Vor uns liegt eine Periode des Übergangs«, stellte er fest, »in der es gilt, gemeinsam einen Platz für Neukaledonien in der indo-pazifischen Region zu schaffen, die sich in einem grundlegenden Umbruch befindet.«
Von 1853 bis 1946 war die nordöstlich von Australien gelegene Inselgruppe Neukaledonien eine französische Kolonie und seitdem hat sie nach Artikel 76 und 77 der französischen Verfassung einen Sonderstatus, genießt weitgehende Autonomie und gehört im Gegensatz zu den französischen Überseedepartements und Territorien DOM/TOM nicht zur Europäischen Union. Von den 300.000 Einwohnern sind nur noch 40 Prozent »Kanak« genannte Indigene, während die Mehrheit Nachfahren der französischen Siedler sind und sich »Caldoches« nennen. Hauptproblem bei ihrem Zusammenleben ist das Land, das den Kanak im 19. Jahrhundert von den »Caldoches« geraubt wurde, so daß ihnen heute nur noch 8 Prozent des Territoriums gehören. Daran entzündete sich der Unabhängigkeitskampf, den die FLNKS (Front de libération nationale kanak et socialiste) anführt.
Dieser Kampf nahm zeitweise Formen eines Bürgerkriegs an und gipfelte 1988 in der Geiselnahme von 20 Gendarmen durch militante FLNKS-Aktivisten. Die hatten sich in eine Grotte auf der Insel Ouvéa zurückgezogen, die durch französisches Militär belagert und nach ergebnislosen Verhandlungen gestürmt wurde. Dabei kamen zwei französische Militärs und 19 »Kanak« ums Leben. Die anschließenden Verhandlungen des sozialistischen Premiers Michel Rocard mit Vertretern der FLNKS gipfelten in einem Abkommen, das nach der neukaledonischen Hauptstadt Numéa benannt ist. Darin wurde für die unmittelbare Zukunft eine sich schrittweise erweiternde Autonomie vereinbart und nach Ablauf einer Frist von 30 Jahren eine Serie von maximal drei Volksabstimmungen über die Unabhängigkeit. Das erste Referendum fand im November 2018 statt und dabei stimmten 43,33 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit, während es beim zweiten Referendum im Oktober 2020 schon 46,74 Prozent waren.
Als seinerzeit das dritte Referendum für den 12. Dezember 2021 angesetzt wurde, war die FLNKS angesichts des Trends zuversichtlich, daß das dritten Mal den Sieg bringen würde. Doch dann kam die Corona-Pandemie und setzte für die Menschen neue Prioritäten. Wohl um eine neuerlich drohende Niederlage abzuwenden und Zeit zu gewinnen, hat die FLNKS vor Monaten gefordert, das dritte Referendum auf unbestimmte Zeit zu verschieben und erst nach dem Ende der Pandemie durchzuführen. Das wurde von der Regierung abgelehnt, die sich dabei auf ein Urteil des Staatsrates, des Obersten Verwaltungsgerichts, stützen konnte. Aus Protest hat die FLNKS die Einwohner Neukaledoniens aufgerufen, der Abstimmung fern zu bleiben.
Das jetzige Ergebnis dürfte allerdings für Frankreich zu einem Pyrrhussieg werden, denn der Kampf für die Unabhängigkeit geht weiter und die Zukunft Neukaledoniens ist weiterhin offen. Damit dürfte sich die wirtschaftlich kritische Lage der Inselgruppe weiter verschlechtern, weil ausländische Investitionen wegen der unsicheren Situation ausbleiben und Neukaledonien weiterhin am »Tropf« von Kontinentalfrankreich hängt.
Die strukturell wichtige Tourismusbranche liegt wegen Corona am Boden und es machen auch keine ausländischen Kreuzfahrtschiffe mehr fest. Die Förderung des reichlich vorhandenen Bodenschatzes Nickel, von dem auf der Inselgruppe 40 Prozent der Weltreserven lagern und auf das die FLNKS als wirtschaftliches Rückgrat eines unabhängigen Neukaledonien zählt, ist technisch veraltet und unrentabel. Angesichts dieser Lage sind nicht nur die meisten »Caldoches« gegen die Unabhängigkeit, sondern auch viele »Kanak« stehen ihr skeptisch bis ablehnend gegenüber. Besonders die ärmsten von ihnen bangen um die Sozialhilfe, denn heute kommt ein Drittel des Budgets der autonomen Inselverwaltung als Finanzhilfe aus Frankreich.
Für Frankreich hat Neukaledonien große strategische Bedeutung, schon wegen der Bodenschätze, doch mehr noch als mögliche Basis für Marine und Luftwaffe, und um international im Pazifikraum mitzureden und die drohende Vormachtstellung Chinas zurückzudrängen.