Ausland11. Juli 2023

Ostfront 2023

von Arnold Schölzel

Die 32. SS-Freiwilligen-Grenadierdivision »30. Januar« wurde am Jahrestag der Machtübergabe an den deutschen Faschismus 1945, also wenige Monate vor dem Ende des Zweiten Wektkrieges, auf dem SS-Truppenübungsplatz »Kurmark« beim brandenburgischen Städtchen Lieberose aufgestellt. Seit 1933 hatten die Nazis von KZ-Häftlingen dort zwischen Frankfurt (Oder) und Cottbus den »größten Truppenübungsplatz der deutschen Waffen-SS in Europa« (Heinrich Himmler) errichten lassen. Nur wenige hundert der schätzungsweise 10.000 Gefangenen des Konzentrationslagers »Außenlager Lieberose« überlebten.

Kurz nach Gründung der Division »30. Januar« ermordete die SS dort 1.342 marschunfähige Häftlinge. Die Einheit selbst wurde bei der Schlacht im Kessel von Halbe Ende April 1945 60 Kilometer südlich von Berlin fast vollständig vernichtet.

Aber sie lebt – jedenfalls ihr Symbol. Das Truppenkennzeichen der SS-Division war ein nach oben gerichteter weißer Pfeil auf schwarzem Grund. Er ist Bestandteil des Kennzeichens der im vergangenen Jahr gegründeten Sondereinheit »Kraken« des Kiewer Militärgeheimdienstes, eine »Elite«-Truppe von etwa 1.800 Mann. In deutschen Medien spielt faschistische Symbolik aber keine Rolle, wenn sie von Kiewer Truppen verwendet wird. Gilt zum Beispiel für das Verbandskennzeichen des Regiments »Asow«: die in der Bundesrepublik wie das Hakenkreuz verbotene Wolfsangel.

Also spielt auch der »Kraken«-Pfeil in einem Artikel in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ) keine Rolle, den Redakteur Robert Putzbach (1996 in Berlin geboren) am Donnerstag vergangener unter der Überschrift »Angriff auf die Trauergemeinde« veröffentlicht. Untertitel: »Eigentlich wollen die Menschen in der ukrainischen Stadt Perwomajske eines Gefallenen gedenken – doch dann müssen sie sich vor einer Rakete retten.«

Das stimmt zwar nicht mit seinem Text überein, wonach das Geschoß aus Richtung Front 500 Meter entfernt einschlug, veranlaßt aber Putzbach, einen Ausbruch des »Kraken«-Kommandeurs Sergij Welitschko an die Spitze seines Textes zu setzen: »Russen, wir glauben schon lange nicht mehr an eure Ehre oder eure moralischen Werte – weil ihr die nicht habt.« Und: »Es gibt keine Vergebung für euch. Wir wollen nur Rache! Rache für alle Toten.«

Welitschko erlangte zusammen mit dem »Kraken«-Chef Kostjantin Nemitschew, den Putzbach ebenfalls zitiert, im Frühjahr 2022 internationale Bekanntheit: Laut Prüfung durch die BBC waren sie die Schlächter gefangener russischer Soldaten, denen systematisch in die Beine geschossen wurde.

Putzbach erwähnt das nicht. Er rühmt »Kraken«: »Nach der Schwächung des Regiments Asow durch die Schlacht um Mariupol im vergangenen Jahr hatte Kraken bald den Ruf der schlagkräftigsten Freiwilligeneinheit inne. Dementsprechend wird der Einheit auch eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Stadt Charkiw und der Rückeroberung des gleichnamigen Gebiets zugeschrieben.«

Stimmt, so sieht Faschismus – Nemitschew hat sich politisch nie anders betätigt – 2023 in der großbürgerlichen deutschen Tageszeitung »FAZ« aus: »Unsere« Ukrainer erfüllen unterm Symbol der SS-Division, die bei Halbe 1945 vorm Iwan unterging, das, was unerledigt blieb.

Was sonst noch in der »FAZ«-Nazifrontberichterstattung fehlt: Der Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 2022, Sergij Schadan, ist ein großer Unterstützer der SS-Nachfahren und beteiligte sich vor der Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche an einer »Kraken«-Benefizveranstaltung.

Und: Am Freitag herrscht Euphorie in westlichen Kriegsmedien. Joseph Biden will Streumunition, die in die NATO-155-Millimeter-Geschütze paßt, an Kiew liefern. Dann können Nemitschew, Welitschko und ihre Kämpfer für die Werte, die kein Russe hat, endlich mit geächteten Granaten schießen. Putzbach wird die »schlagkräftigste Freiwilligeneinheit« besingen.