Günstiges Geschäftsumfeld
Die IT-Industrie Taiwans basiert auf US-amerikanischer Technologie und chinesischer Produktion. Der Wirtschaftskrieg gegen die Volksrepublik gefährdet dieses System
Er überschattete den Kurztrip nach Peking, den Kanzler Olaf Scholz unternahm: Der Konflikt um Taiwan, den vor allem die USA und transatlantische Kräfte in der EU seit geraumer Zeit gezielt anheizen. Scholz reiste, eine Industriedelegation im Schlepptau, in die chinesische Hauptstadt, um dort nicht zuletzt zu besprechen, wie es mit den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen weitergehen soll, die inzwischen heftig unter Druck geraten, siehe zum Beispiel den Streit um die Minderheitsbeteiligung der chinesischen Reederei Cosco am Hamburger Containerterminal Tollerort.
Dabei teilt Deutschland mit Taiwan gerade die engen Wirtschaftsbeziehungen zur Volksrepublik China: Für kaum ein Land hätte der Rückbau der ökonomischen Verflechtung so gravierende Folgen wie für Taiwan. Man kann das exemplarisch am jüngsten Halbleiterembargo der USA gegen China ablesen.
Als die Biden-Administration im Oktober begann, China mit weitreichenden Sanktionen von den modernsten Hochleistungschips abzuschneiden – ein Schritt, den nicht wenige als wirtschaftlichen Enthauptungsschlag für Chinas bedeutendste Hightech-Branchen einstufen –, da mußte sie sofort auch erste Ausnahmen von dem Embargo genehmigen. Der Grund: Große Halbleiterhersteller aus verbündeten Ländern betreiben Fabriken in der Volksrepublik China; sie werden für die Versorgung auch der USA benötigt und sollen deshalb durch das Embargo nicht ernsthaft geschädigt werden.
Zu den Konzernen, die daher Ausnahmegenehmigungen für ihre chinesischen Standorte erhielten, gehört TSMC aus Taiwan. TSMC ist ein Auftragsproduzent, stellt Halbleiter für Hightech-Unternehmen her, die Chips entwerfen, sich aber die äußerst teure und aufwendige Fertigung nicht selbst leisten können oder wollen. TSMC ist mit riesigem Abstand Weltmarktführer, erwirtschaftet einen höheren Umsatz als die Weltranglistennummern zwei bis zehn zusammen. Ohne den Konzern würde die Chipversorgung auch im Westen kollabieren.
TSMC ist dabei – verglichen mit anderen taiwanischen Unternehmen in der Volksrepublik – gar nicht einmal besonders exponiert. Der Konzern hat seine Fertigung ungewöhnlich stark auf Taiwan selbst konzentriert. Allerdings verdient auch er hohe Beträge im Geschäft mit Firmen auf dem chinesischen Festland. Im Jahr 2020 waren es 17 Prozent seines Konzernumsatzes; dann trafen Sanktionen der USA gegen Huawei und weitere chinesische Firmen auch ihn – und im Jahr 2021 sank der Anteil seines Chinageschäfts auf zehn Prozent.
Der mit Abstand bedeutendste Markt
Trotz seiner Fokussierung auf Taiwan kommt auch TSMC nicht mehr um die Produktion in der Volksrepublik herum, dem mit Abstand bedeutendsten Markt; 2018 hat eine Fabrik des Konzerns in Nanjing den Betrieb aufgenommen, 2021 hat er begonnen, sie auszubauen. Ein Jahr lang darf sie nun trotz des Embargos der USA noch beliefert werden, danach läuft die Ausnahmegenehmigung aus. Wie es dann weitergehen soll, ist ungewiß.
Andere taiwanische Hightech-Konzerne sind in der Volksrepublik viel stärker präsent – Foxconn etwa. Das Unternehmen macht zur Zeit wegen eines Covid-19-Ausbruchs in seiner Fabrik in Zhengzhou Schlagzeilen. Allein dort stellen nach Konzernangaben gut 300.000 Arbeiter I-Phones her. Foxconn produziert darüber hinaus in der Volksrepublik allerlei Unterhaltungselektronik und will nun zudem in die Herstellung von Elektroautos einsteigen.
Der Konzern beschäftigt in China laut Berichten weit über eine Million Menschen und ist dort eines der personalstärksten Unternehmen. Zahlreiche weitere taiwanische Firmen kommen hinzu – die ASE Group etwa, die sich in der Halbleiterproduktion betätigt und ebenso in der Volksrepublik produziert wie Quanta Computer oder Wistron. Dort wird Hardware für Notebooks hergestellt, das Unternehmen betreibt Fabriken etwa in Shanghai, Chongqing sowie Chengdu. Alle sind an ihren chinesischen Standorten bestens vernetzt – und von dort beliefern sie, ganz wie Foxconn, gerade auch den Westen.
Das Ganze hat System. Taiwans IT-Industrie baut darauf auf – so hat es einmal Leng Tse-Kang beschrieben, ein Politikwissenschaftler von der National Chengchi University in Taipei –, Zugang einerseits zu Hightech-Zentren im Westen und in Ostasien, anderseits zu den Produktionsbasen der Volksrepublik zu haben: »Taiwanische Firmen sind große Plattformen, die amerikanische Technologien, taiwanisches Know-how und chinesische Produktionskapazitäten verbinden.« Das macht ihre besondere Stellung auf den Weltmärkten für Halbleiter, Hardware und allerlei weitere Hightech-Produkte aus, die denn auch den taiwanischen Export sowie das globale Profil der taiwanischen Wirtschaft dominieren. Daran liegt es allerdings auch, daß der eskalierende Wirtschaftskrieg der USA gegen die Volksrepublik Taiwans Hightech-Industrie ernsthaft gefährdet: Er attackiert eines ihrer konstitutiven Elemente. Ein vom Westen erzwungener harter Bruch mit China wäre deshalb ein verheerender Schlag für Taiwans Industrie.
Konkurrenz um Spezialisten
Der Wirtschaftskrieg gegen China spitzt den erbitterten Kampf zu, der zwischen den Halbleiterherstellern Taiwans und der Volksrepublik tobt. Spezialisten zu gewinnen, um die Entwicklung modernster Chips voranzutreiben, ist eine der Schwierigkeiten der Branche. Taiwan, das frühzeitig in die Chipproduktion eingestiegen ist, hat einen Erfahrungsvorsprung; Experten von dort sind auf dem Festland entsprechend begehrt. Chinas größtem Halbleiterhersteller SMIC ist es 2017 gelungen, den ehemaligen TSMC-Manager Liang Mong Song abzuwerben; allerdings nicht direkt von TSMC, sondern von Samsung, wo er mittlerweile arbeitete: Personal abzuwerben ist keine chinesische Spezialität. Kurze Zeit für SMIC tätig war zudem der Ex-TSMC-Manager Shang-Yi Chiang.
Umkämpft sind nicht nur erfahrene Manager, sondern vor allem auch Chipspezialisten. Im Jahr 2019 ergab eine Studie, daß rund 3.000 taiwanische Halbleiterfachkräfte in der Volksrepublik in Lohn und Brot standen – zehn Prozent des taiwanischen Spezialistenpools, hieß es damals. Das ist keine Kleinigkeit, zumal Taiwan mit einer Bevölkerung von gerade einmal 24 Millionen – mit schrumpfender Tendenz – längst nicht das Potential besitzt, über das die Volksrepublik mit ihren 1,4 Milliarden Einwohnern verfügt.
Personalknappheit ist einer der Gründe, weshalb Taiwans Hightech-Firmen immer wieder Standorte auf dem chinesischen Festland errichten. Eine gewisse Hoffnung schöpfen sie nun daraus, daß die jüngste USA-Sanktionsrunde es USA-Bürgern wie auch Chinesen mit einem Aufenthaltstitel in den USA untersagt, in irgendeiner Weise zur Belieferung Chinas mit Hochleistungschips oder mit Geräten zu ihrer Produktion beizutragen. Für alle, die davon betroffen sind, bieten sich die Insel und ihre Hightech-Unternehmen gegenwärtig als Zufluchtsort bzw. als alternative Arbeitsstellen an.
Größter Lieferant und Kunde
Die überaus engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Volksrepublik und Taiwan haben ihren Ursprung in den 1980er Jahren – in der Zeit also, in der China anfing, sich ökonomisch zu öffnen und auch bundesdeutsche Unternehmen dort Fuß zu fassen begannen. 1979 publizierte die Regierung in Peking eine »Botschaft an die Landsleute in Taiwan«, in der sie die Aufnahme von Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem chinesischen Festland und der Insel vorschlug. Bald kamen die ersten Geschäfte zustande; der Handel gedieh, die taiwanischen Investitionen in der Volksrepublik gewannen an Schwung und erreichten laut Angaben aus Peking bereits 1989 ein Gesamtvolumen von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Eine Basis für das enge ökonomische Geflecht, das bis heute die Taiwanstraße überspannt, war gelegt.
Die weitere Entwicklung hat sich konsequent parallel zur ökonomischen Entwicklung der Volksrepublik vollzogen. Zunächst investierten taiwanische Unternehmer auf dem Festland, um die billige Arbeitskraft dort zur Herstellung von Kleidung aller Art und von billigen Plastikwaren zu nutzen. Dann begann die Volksrepublik, auf der Technologieleiter nach oben zu klettern, und Firmen aus Taiwan nutzten das – so hat es Chung-Min Tsai, ein Politikwissenschaftler von der National Chengchi University in Taipei, einmal beschrieben –, um auf dem Festland zur Produktion von Elektrogeräten, Präzisionsinstrumenten und schließlich PC-Hardware überzugehen.
Mittlerweile haben auch taiwanische Finanzkonzerne und Dienstleister in der Volksrepublik Fuß gefaßt. Dabei haben sich taiwanische Unternehmen immer enger in die chinesische Wirtschaft integriert; längst produzieren sie nicht mehr nur in China für die Welt, sondern auch in China für China, in enger Verflechtung mit der dortigen Industrie.
Will man die heutige Bedeutung der Volksrepublik für Taiwans Wirtschaft einschätzen, dann helfen einige trockene Zahlen weiter. Von allen Investitionen, die taiwanische Unternehmen bis einschließlich 2020 im Ausland angelegt hatten, waren nach Angaben der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) rund 55 Prozent auf das chinesische Festland geflossen; weitere 2,3 Prozent lagen in Hongkong. Die USA, zweitgrößter Standort von Auslandsinvestitionen aus Taiwan, verzeichneten gerade einmal 6,3 Prozent.
China war nach Berechnungen der bundeseigenen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest (GTAI) mit einem Anteil von 22,2 Prozent Taiwans größter Lieferant sowie – mit einem Anteil von 29,7 Prozent – dessen größter Kunde; weitere 14,2 Prozent der taiwanischen Exporte gingen nach Hongkong.
Taiwans Wirtschaft ohne die Volksrepublik? Das ist längst undenkbar geworden. Kein Wunder, daß diejenigen in Taiwan, die die Insel in aller Form von China abspalten wollen, Peking vorwerfen, die von ihm angestrebte Wiedervereinigung auf ökonomischer Ebene längst vollzogen zu haben.
Das ist denn auch der Grund, weshalb die aktuelle Regierung in Taipei – sie tendiert nicht offiziell, aber doch faktisch in Richtung Abspaltung – im Jahr 2019 ein Reshoring-Programm gestartet hat, dessen Ziel es ist, taiwanische Unternehmen zur Rückverlagerung im Ausland unternommener Produktion nach Taiwan zu bewegen. Im Kern geht es vor allem um Fabriken in China, wo der Bestand taiwanischer Investitionen inzwischen beinahe 200 Milliarden US-Dollar erreicht; das ist rund doppelt so viel wie der Bestand deutscher Investitionen in der Volksrepublik.
Der Erfolg ist bislang noch eher mäßig. So planten im ersten Halbjahr 2022 gerade einmal 30 Prozent aller taiwanischen Unternehmen, die Fabriken in China betreiben, »ihre Aktivitäten dort herunterzufahren«, berichtete Mitte September GTAI; nur ein Teil von ihnen, insgesamt zehn Prozent, wollten sich gänzlich aus China zurückziehen. Das heißt also: 70 Prozent aller taiwanischen Unternehmen in China sehen ungeachtet aller politischen Erschütterungen keinerlei Anlaß, der Volksrepublik den Rücken zu kehren; allzu günstig ist dort das Geschäftsumfeld, nicht zuletzt in Hightech-Metropolen wie Shenzhen, in denen auch taiwanische Konzerne wie Foxconn produzieren.