Luxemburg16. September 2021

Alles Selbstversorger?

Für eine realistische Energiepolitik

von Jean-Marie Jacoby

Es ist erschreckend, was im Gefolge des Pariser Klimaschutzabkommens als Energiepolitik in der EU und in den einzelnen Mitgliedsländern stattfindet. Es ist als gäbe es ein Wettrennen nach dem schnellen und noch schnelleren Ausstieg aus fossilen Energiequellen nach dem Motto: »Wer bietet mehr?« Dabei wird absolut nicht darüber nachgedacht, wo die Energie heute herkommt, wo sie gestern herkam und wo sie morgen herkommen soll. Das ist hochgradig gefährlich, denn eine moderne Gesellschaft ist extrem abhängig von der Energiezufuhr

Wobei »Zufuhr« das richtige Worte ist, denn die Gegenden, in denen wir uns befinden, zeichnen sich nicht durch einen hohen Selbstversorgungsgrad aus. Was die EU betrifft, so geht der Anteil an selbst erzeugter Energie seit Jahren zurück. 1996 lag die Primärenergieerzeugung der EU noch bei 988 Millionen Tonnen Rohöleinheiten, 2016 waren es nur noch 755 Millionen Tonnen (-23,6 Prozent). Seit 2004 liegen die Nettoimporte am Bruttoverbrauch über 50 Prozent, und das mit steigender Tendenz. 2016 waren 53,6 Prozent erreicht.

Das ist der EU-Durchschnitt, wobei die BRD 71 Prozent des Energieverbrauchs importiert – und Luxemburg 96,3 Prozent. Dabei sollte niemand glauben, der Löwenanteil seien Stromimporte über Leitungen, denn fast zwei Drittel der EU-Importe sind Erdöl, ein Viertel Gas und immer noch 9 Prozent feste Brennstoffe (Kohle, Uran). Gas kommt fast ausschließlich über Pipelines, ein Teil des Erdöls auch, weil das die erhebliche günstigere Versorgung ist, während der Rest mit Schiffen kommt.

Aus den Augen, aus dem Sinn?

Was unterirdisch daherkommt, fällt nicht auf. Übers Gas, das in unterirdischen Rohren ins Land kommt, gibt es keinen Streit, wohl aber über die neue Stromleitung der Creos, obwohl die damit importierbare Energiemenge den Gasimport nicht ausgleichen kann. 

Den meisten hierzulande ist die Kerosin-Pipeline auf den Findel erst bewußt geworfen, als bei Echternach Wasser die Pumpstation außer Gefecht gesetzt hat. Es wäre interessant zu wissen, welche Schlußfolgerungen die US Air Force daraus gezogen hat, da sie ja im Kriegsfall den Flughafen übernimmt, denn außer kurzfristiger Panik war von Luxemburger Behörden keine Reaktion zu erkennen. Größere Reservetanks wären eine Möglichkeit, würde nicht von der unrealistischen Theorie ausgegangen, in 30 Jahren werde kein Kerosin mehr verflogen. Aber was dann und von wo kriegen wir das her?

30 Jahre sind eine kurze Zeit, um Importquellen grundlegend umzugestalten. Wobei man sich dessen bewußt sein sollte, daß die Pipeline um den Faktor 15 besser liegt als das Kabel, um Energie zu transportieren. Und Strom läßt sich auch nicht wie Erdölsprit aus dem Hafen Rotterdam im LKW herankarren. Wobei sich zu schlechter letzt nicht alle industriellen Prozesse von Gas bzw. Erdöl auf Strom umstellen lassen, was immer wieder unter den Tisch fällt.

Betriebs- gegen Volkswirtschaft

Inkompetenz ist leider die am meisten in der Politik verbreitete »Qualifikation« neben der Fähigkeit, wie ein guter Schauspieler einen Text mit Nachdruck und Überzeugung vorzutragen, der nicht selbst verfaßt wurde. Das macht durchaus Sinn, wenn wir wissen, daß die wichtigen Entscheidungen weder von Regierungen noch von Parlamenten getroffen werden, sondern im Vorfeld durch die aktuell führenden Fraktionen des Finanzkapitals. Kompetenz wäre da nur hinderlich, wäre das doch eine Gefahr für die widerstandslose Durchleitung der Beschlüsse. Ein fachlich kompetenter Mensch wäre schließlich in der Lage, mittel- und langfristig erst entstehende Probleme zu erkennen, die bei Entscheidungen vergessen werden, die nur den kurzfristigen Maximalprofit im Auge haben.

Die Kompetenz, das Große Ganze im Blick zu behalten, ist stückchenweise verschwunden in den letzten 50 Jahren. Das weil seit Anfang 1970 an den Universitäten die Volkswirtschaft gegenüber der Betriebswirtschaft kontinuierlich zurückgedrängt wurde. So ging der Überblick verloren, der für ein warnendes Eingreifen immer dann nötig wäre, wenn kurzfristige betriebswirtschaftliche Profitentscheidungen dazu führen, daß künftig jedes profitable Wirtschaften unmöglich wird.

Genau das droht uns leider jetzt mit der sogenannten Energiewende. Nicht, weil eine solche Wende theoretisch oder praktisch unmöglich wäre, sondern weil sie nicht sachgemäß angegangen wird, sondern ideologisch, will heißen in falschem Bewußtsein, sozusagen ahnungslos und faktenwidrig.

Auch mit dem totalen Kontrollinstrument »Smart Meter« läßt sich keine Energieversorgung zu 100 Prozent aus dem Stromkabel bewerkstelligen. So hoch wird die Importkapazität der neuen 380 kV-Leitung auch nicht sein, wenn sie einmal fertig ist. Das droht dann am Ende in eine Mangelverwaltung auszuarten, was im privaten Bereich unangenehm ist – es wird dann eben nicht heute Abend zur Oma gefahren, sondern morgen, oder der Trainingsplatz bzw. die Theateraufführung ist eben unerreichbar, weil die Autobatterie zu leer ist – wird auf betrieblicher Ebene rasch zur Katastrophe.

Das Thema der Energiesicherheit wird sich nicht im Vorbeigehen nebenbei regeln lassen. Wenn gewisse Importquellen nicht mehr genutzt werden sollen, müssen rechtzeitig neue Importquellen aufgebaut werden. Gänzlich unrealistisch ist es glauben zu wollen, wir könnten von Energieimporten unabhängig werden, das ganz besonders in diesen nördlichen Gegenden des Kontinents.