Ausland22. April 2021

Mörder in Uniform

Ex-Polizist in Minneapolis in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Das Problem des Rassismus in den USA ist damit nicht gelöst

von Max Böhnel, New York

Das Urteil, das die zwölf Geschworenen am Dienstagnachmittag in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota bekanntgaben, fiel eindeutig aus. Der ehemalige Polizist Derek Chauvin ist in allen drei Anklagepunkten schuldig: Mord zweiten Grades ohne Vorsatz, Mord dritten Grades und Todschlag zweiten Grades. Sein Opfer war George Floyd. Den in Handschellen auf dem Bauch liegenden Afroamerikaner hatte Chauvin am 25. Mai letzten Jahres am helllichten Tag mit dem Knie im Nacken minutenlang auf den Boden gedrückt, bis er erstickte.

Chauvin hörte sich das Urteil regungslos an, bevor er in Handschellen abgeführt wurde. Das Strafmaß soll in acht Wochen verkündet werden. Geht die Verteidigung nicht in Revision, steht dem Mörder in Uniform dann eine vieljährige Gefängnisstrafe bevor. Im dem dreiwöchigen Hauptverfahren waren 38 Zeugen der Anklage zu Wort gekommen. Die Verteidigung hatte die Anhörung ihrer Zeugen nach nur zwei Tagen beendet. Chauvin hatte von seinem Recht, nicht auszusagen, Gebrauch gemacht. Drei weiteren Polizisten, die Chauvin assistiert hatten, wird im August der Prozeß gemacht. 

Die Behörden in Minneapolis hatten die Stadt zu einer militarisierten Festung ausgebaut, um etwaige Proteste im Fall eines minder schwer ausfallenden Urteils niederschlagen zu können. Nun machte sich aber nach der Urteilsverkündung relative Erleichterung breit. Hunderte skandierten »George Floyd« und »Black Lives Matter«. USA-Präsident Joe Biden bezeichnete den Rassismus als »Schandfleck auf der Seele unserer Nation«. Das Urteil könne ein riesiger Schritt nach vorne hin zur Gerechtigkeit in den USA sein, meinte er. Er forderte den Kongreß zur Verabschiedung eines nach George Floyd benannten Gesetzes für Polizeireformen auf. Auch Vizepräsidentin Kamala Harris sagte am Dienstagabend, der strukturelle Rassismus müsse überwunden werden. Der Anwalt der Familie Floyds bezeichnete das Urteil als »Wendepunkt in der Geschichte«. Ihm müsse eine Polizeireform folgen. 

Solche Töne sorgen nach den Jahren der Amtszeit von Donald Trump, der als faschistioder »Law and order«-Präsident aufgetreten war, für vorübergehende Linderung. Schon in den Wochen nach George Floyds Tod hatten die »Black Lives Matter«-Massendemonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt im Kongreß Forderungen und Versprechungen auf Polizeireformen laut werden lassen. Gesetzesentwürfe reichten von einer bundesweiten Polizeiausbildung mit denselben Standards, dem Stopfen von Schlupflöchern, die entlassenen Polizisten den Wiedereintritt in ein anderes Polizeidezernat erlaubten, bis hin zum Verbot von Würgegriffen. Doch weder im Haus noch im Senat kam es zu einer Einigung, und die Sache verlor sich im Wahlkampf.

Als Präsidentschaftskandidat hatte Biden der schwarzen Bevölkerung Unterstützung zugesagt. Doch seit seiner Amtsübernahme befaßte sich keine einzige seiner Präsidialanordnungen mit einer Polizeireform. Auch von einer Taskforce oder einer Kommission auf höchster Ebene war entgegen seiner Versprechungen nichts zu hören. Stattdessen beschränkt sich das Weiße Haus auf die verbale Zusage, Kongreßinitiativen zu »unterstützen«.

Dort finden nach den eingeschlafenen Entwürfen vom letzten Jahr »informelle Gespräche« statt. Die Abgeordnete der Demokratischen Partei Karen Bass aus Los Angeles, die sich zusammen mit den Senatoren Cory Booker (D) und Tim Scott von der Republikanischen Partei, Reformen initiieren will, sagte am Sonntag in einem CNN-Interview, es sei möglich, eine Mehrheit im Repräsentantenhaus zu finden. Aber im Senat, wo eine Mehrheit von 60 Stimmen erforderlich ist, bestehe »eine superhohe Hürde«.

Hürden bestehen allerdings auch in den Bundesstaaten und im Verhältnis der Bundesregierung zu ihnen. So müßten Polizeireformen, wenn sie Wirkung zeigen sollen, auch gegen die mächtigen und sehr weit rechts stehenden Polizeigewerkschaften durchgesetzt werden. Nicht zuletzt hatte sich Biden schon im Wahlkampf vom linken Flügel der Demokratischen Parte und dessen Forderung nach »Defund the Police« distanziert und sogar im Gegenteil noch mehr Geld eingefordert.

Die Bürgerrechtsvereinigung American Civil Liberties Union erklärte, zum ersten Mal in der Geschichte des Staates Minnesota sei ein weißer Polizist für die Tötung eines Schwarzen zur Rechenschaft gezogen worden. Es handele sich vielleicht um »einen kleinen Erfolg, daß die Polizei verantwortlich gemacht werden konnte. Vielleicht hilft er auch einer trauernden Community. Aber die Systeme, die den Mord an George möglich gemacht haben – die ihn seiner Familie und Community entrissen haben, die ihn so sehr liebten – bleiben komplett unangetastet.«

Die linke Organisation Democratic Socialists of America erklärte zum Urteil vom Dienstag, es handele sich dabei »nicht um Gerechtigkeit«. Die Cops würden »einen der ihren opfern, um Empörung und Wut abzufedern und das Vertrauen in sie aufrechtzuerhalten… Gerechtigkeit kommt nicht von Institutionen, die für ungerechte Verhältnisse sorgen«. Die Polizei werde weiterhin Morde begehen.