Massives Votum gegen die Privatisierung der Post
»Consultation nationale« verstärkt Druck auf Regierung
Mehr als zwei Millionen Franzosen haben am Wochenende an einer informellen Volksbefragung über die Zukunft der Post teilgenommen und 90 Prozent von ihnen haben dabei gegen die Privatisierungspläne der Regierung votiert.
Reguläre Volksbefragungen sind zwar seit einige Jahren in der Verfassung vorgesehen, doch fehlt es immer noch an einem Gesetz über ihre Modalitäten. Da die jüngsten Pläne der Rechtsregierung zur Änderung des Status der Post ab Anfang 2011 große Besorgnisse in der Bevölkerung über den damit drohenden Einstieg in die schrittweise Privatisierung und damit die Aushöhlung des öffentlichen Dienstes ausgelöst haben, wurde jetzt durch ein Initiativkomitee eine »Consultation nationale sur la privatisation de La Poste« organisiert. Getragen wurde diese Initiative von den Gewerkschaften, vor allem denen der Post-Mitarbeiter, von den linken Oppositionsparteien und von etwa 50 verschiedenen Bürgerver-einigungen.
Die Frage, die den Franzosen vorgelegt wurde, lautete: »Die Regierung will den Status der Post ändern, um sie zu privatisieren. Sind Sie mit dem Projekt einverstanden oder nicht?« An den fliegenden Abstimmungspunkten vor Postämtern und Rathäusern oder auf Marktplätzen im ganzen Land haben sich insgesamt 2,12 Millionen Franzosen mit Name, Adresse und Unterschrift in die Teilnehmerlisten eingetragen und ihren Stimmschein in die Urne geworfen. Das waren mehr als doppelt so viele, wie die Organisatoren erwartet hatte, die von etwa einer Million ausgingen.
Die Auszählung ergab 90 Prozent »Nein« zu den Privatisierungspläne und nur 10 Prozent »Ja«. Dieses Ergebnis ist eine Ohrfeige für die Regierung und die sie tragende rechte Einheitspartei UMP. Die ersten Reaktionen fielen entsprechend wütend und polemisch aus. Der UMP-Sprecher Frédéric Lefebvre sprach von einer »Manipulation« durch die Opposition und von einer »Suggestivfrage«, die »an den Tatsachen vorbei geht«. Schließlich wolle die Regierung die Post gar nicht privatisieren, sondern nur in eine Aktiengesellschaft umwandeln, deren Anteile zu 100 Prozent durch den Staat oder staatseigenen Banken gehalten werden. Dann werde man das Kapital um 2,7 Milliarden Euro erhöhen und diese Mittel in die Modernisierung investieren. Der bisherige Status der Post erlaube dies nicht, weil es sich dabei um eine von Brüssel nicht erlaubte Staatsbeihilfe handeln würde.
Auf die Befürchtungen der Gegner dieser Pläne, die in der Statusänderung nur den ersten Schritt einer dann unaufhaltsamen Privatisierung sehen, wie das schon bei anderen öffentlichen Diensten wie France Télécom oder Electricité de France (EDF) der Fall war, gehen die Vertreter der Regierungsseite nicht ein.
Die Organisatoren der Volksabstimmung haben nun um einen Termin im Elysée-Palast gebeten, um dem Präsidenten das Ergebnis zu übergeben und zu erläutern. Gleichzeitig haben Abgeordnete der Kommunistischen und der Sozialistischen Partei gefordert, der Präsident möge zu diesem Thema nun ein »reguläres« Referendum durchführen lassen.
Die Regierung kann das Ergebnis der Volksabstimmung nicht ignorieren. Eine erste Reaktion waren schon am nächsten Tag ganzseitige Anzeigen in den größten Zeitungen, in denen das Wirtschaftsministerium den Franzosen versichert: »Sie lieben die Post. Wir helfen, sie zu modernisieren. Die Post ändert ihren Status, bleibt aber zu 100 Prozent ein öffentlicher Dienst.«
Ralf Klingsieck, Paris