Leitartikel26. August 2021

Grundrecht Streik unter Beschuß

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Der Bahnkonflikt in Deutschland geht in eine neue Runde. Zwar läuft der Bahnverkehr seit Mittwoch wieder annähernd normal, doch wird der Ton rauer. So meldete der Westdeutsche Rundfunk am Mittwochmorgen: »Dichtes Gedränge in Zügen durch Bahnstreik in NRW« und ließ einen Epidemiologen zu Wort kommen, dem einfiel, daß »der Lokführerstreik das Corona-Risiko erhöht«. Es ist ja nun nicht so, daß die Züge in Deutschland außerhalb einer Pandemie nicht überfüllt sind und es im vergangenen Jahr, ohne Impfangebot, nicht auch waren. Profitorientierte »Reformen« haben verbrannte Erde hinterlassen, wenn es um ein flächendeckendes Transportangebot für Bürger angeht. In vielen Fällen ist die Bahn längst nicht konkurrenzfähig zum Individualverkehr.

Während sich die DB-Vorstände die Taschen vollstopfen, bekommen die Lokführer und ihre Kollegen Krümel hingeworfen. Die Angebote der Bahn im aktuellen Arbeitskampf bis zum heutigen Tag waren ein Witz und es drängen sich Erinnerungen an den letzten großen Streik der GDL auf, als das Unternehmen auf Zeit spielte und die Medien für sich arbeiten ließ. Die Boulevardzeitung mit den großen Buchstaben gab damals den Gewerkschaftsvorsitzenden zum Abschuß preis.

Es heißt auch dieser Tage wieder: »Weselsky läßt streiken«, dabei dürfen wir nicht vergessen, daß eine überwältigende Mehrheit der GDL-Mitglieder für den Arbeitskampf gestimmt hat. Ein Streik bei der Bahn ist immer schmerzvoll für die Passagiere und kommt eigentlich immer zur Unzeit. Doch die Schuld dafür ausgerechnet bei den Bahnangestellten zu suchen, ist gelinde gesagt empörend. Ein Streik bei den Metallern etwa interessiert die breite Masse so lange nicht, wie es sie selbst nicht betrifft.

Daß die Nerven in der Pandemie aber so blank liegen, daß manche Ursache und Wirkung verwechseln, von denen man es eigentlich anders erwartet hätte, zeigt auch ein rezenter Ausfall von Andreas Frege, Sänger der Band »Die Toten Hosen«, welcher, besser bekannt als »Campino«, in den letzten Wochen mit seinem Buch auf Lesereise durch die Republik tourte und auch in Luxemburg Halt machte.

In einem Video, welches in den sozialen Netzwerken kursiert, spricht er vor den jubelnden Zuhörern darüber, daß man sich bei der Veranstaltung an die Corona-Regeln halte, während »Wichser wie dieser Weselsky die Pandemielage ausnutzen, um einen Streik anzufangen«, unter welchem Familien litten, die zum ersten Mal nach den Lockdowns wieder in den Urlaub fahren möchten, weil sie sich in Zügen drängeln und obendrein auch noch im Inland Ferien machen müßten. Er könne »kotzen« deshalb.

Wenn man so etwas hört, stellt man sich unweigerlich die Frage, ob Punk nicht tatsächlich bereits »dead« ist. Aber mit steigendem persönlichem Wohlstand ändern sich im Alter vermutlich politische Ansichten. Dabei hatte die GDL bereits Anfang des Jahres erklärt, auf einen Konflikt aufgrund der Corona-Lage zunächst zu verzichten. Es ist nicht so, daß die Bahn diesen Aufschub für ein vernünftiges Angebot genutzt hätte.

Es wäre deutlich honorabler, wenn Personen des öffentlichen Lebens, die sich allenthalben als »links« oder »unangepaßt« positionieren, bei solchen Gelegenheiten öffentlich Solidarität übten mit einem Arbeitskampf und eher das Gebaren der Konzernbosse verurteilten, anstatt sich in den primitiven Reigen des Boulevards einzureihen, der dieses demokratische Grundrecht in Frage stellt und gegen jeden hetzt, der es wagt, davon Gebrauch zu machen. Gerade aber auch die öffentlich-rechtlichen Medien, wie der WDR, haben einen Informationsauftrag, insbesondere die Hintergründe eines solchen Kampfes zu beleuchten.