Ausland

»Ordentlich auf den Putz hauen«

Französische Belegschaften drohen mit Betriebssprengungen

Das Ultimatum läuft noch bis zum 31. Juli. Wenn die Verhandlungen über einen Sozialplan bis dahin nicht mit einem zufriedenstellenden Ergebnis abgeschlossen werden, drohen die 366 Beschäftigten des zur Schließung vorgesehenen französischen Autozulieferers New Fabris in der westfranzösischen Industriestadt Châtellerault (45.000 Einwohner) damit, den Betrieb durch auf den Dächern verteilte und untereinander verkabelte Propangasflaschen in die Luft zu jagen.

 »Wenn es keine Lösung gibt, kracht es … Wenn wir nichts bekommen, bekommen sie auch nichts« , erklärte der CGT-Gewerkschafter und Vorsitzende des Betriebskomitees Guy Eyermann gegenüber der Presse.
Der Erfindungsreichtum französischer Arbeiter und Angestellter, um in Zeiten der Krise und eines zunehmend rauer werdenden »Sozialklimas« unter der Herrschaft Sarkozys ihre Interessen zur Geltung zu bringen, ist offenbar unerschöpflich. Im Frühjahr war die Festsetzung von Managern in den von Streikenden besetzten Betrieben »in Mode« gekommen. Nun haben auch die Fabris-Beschäftigten bereits Nachahmer gefunden. Nur wenige Tage nach ihnen kündigten auch die einem Konkursverfahren unterworfenen Beschäftigten des Telekommunikations-Ausrüsters Nortel in Châteaufort bei Paris die Sprengung des Betriebs per Gasflaschen an, wenn ihre Sozialplan-Forderungen nicht erfüllt werden.

Die sich wehrenden Arbeiter und Angestellten sind keine wildgewordenen Kleinbürger. Ihr Motiv ist die Wut über das skrupellose und inhumane Vorgehen der verantwortlichen Konzernleitungen, die Verzweiflung über die Zerstörung ihrer Lebensperspektiven, aber vor allem auch das Wissen darum, daß nur drastisch demonstrierter Widerstand ihnen helfen kann, wenigstens eine die Folgen der Betriebsschließungen abmildernde Abfindung als Überbrückungshilfe herauszuholen. »Wenn man bei denen da oben was erreichen will, muß man ordentlich auf den Putz hauen« , sagte ein Gewerkschafter von New Fabris den nach der angekündigten Sprengung zahlreich erschienenen Pressevertretern.

Zumindest in den beiden aufgeführten Fällen hatte die »Taktik« Erfolg. Der Kampf der Belegschaften gegen die Schließung ihrer Betriebe und die damit verbundenen Folgen wäre sonst bestenfalls in der Lokalpresse vermerkt worden. Nun fanden ihre Aktionen landesweite Aufmerksamkeit in ganz Frankreich und sogar in den Nachbarstaaten.
In beiden Fällen haben mittlerweile Verhandlungen begonnen. Selbst Industrieminister Estrosi sah sich gezwungen, sich in die Konflikte einzuschalten. Befriedigende Ergebnisse waren allerdings bis zum Redaktionsschluß dieser Ausgabe noch nicht zu vermelden.

Die Beschäftigten von New Fabris fordern über die gesetzlich vorgeschriebene Höhe hinaus 30.000 Euro Sozialplan-Abfindung pro Beschäftigten, während die Konzernleitungen bisher etwa 6.000 Euro angeboten haben. Bei Nortel lautet die Forderung der in der Mehrzahl hochqualifizierten Techniker 100.000 Euro pro Kopf, während die Konzernleitung 10.000 angeboten hat.

Die Fabris-Beschäftigten haben sich ein zusätzliches »Faustpfand« als »Kriegskasse« , wie sie es nannten, gesichert. In dem Betrieb liegen ca. 50.000 Zubehörteile für Autos, u.a. Kurbelwellen, Auspuffteile und Verteilerköpfe, im Wert von etwa 2 Millionen Euro fertig auf Lager. Außerdem sind noch Anfang 2008 hochmoderne roboterbestückte neue Fließbänder und Maschinen installiert worden, die auf einen Wert von 11 Millionen Euro geschätzt werden. Die Gewerkschafter vor Ort vermuten, daß die Autokonzerne Renault und Peugeot-Citroën, die bisher die Hauptabnehmer waren, dann aber plötzlich keine Aufträge mehr erteilten und das Unternehmen damit in den Konkurs trieben, diese Bestände und Anlagen als »Entschädigung« für ihre Firmenanteile aus dem Betrieb herausholen und in ihren Besitz übernehmen wollen. Aber nun befinden sie sich derzeit in dem besetzten Betrieb in der Hand der Streikenden.

Deren Sprecher erklärten, daß sie bereit sind, diese Bestände und Ausrüstungen freizugeben, wenn im Gegenzug ihre Sozialplan-Forderung erfüllt wird. Dadurch bekam der Satz : »Wenn wir nichts bekommen, bekommen sie auch nichts« auch für die Konzernleitungen ein zusätzliches, finanziell durchaus konkret meßbares Gewicht.

Pierre Poulain