Leitartikel

Unser Leitartikel : Es trifft die Schwächsten am schlimmsten

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Der 16-jährige Carlos ist Schüler im Technischen Lyzeum. Er hat sich dazu entschlossen, ab dem kommenden Schuljahr einen Beruf zu erlernen. Die Entscheidung, welchen Weg er dabei genau einschlagen will, gedenkt er Ende August zu treffen. Zuvor will er sich noch während eines Monats als Gehilfe in einem Kaufhaus das nötige Taschengeld verdienen, um während des Sommerurlaubs Urlaub bei seinen Großeltern in Portugal machen zu können. Denn seine Mutter kann ihm das nötige Geld dazu nicht beisteuern.

Sie ist Alleinerzieherin und hat neben Carlos zwei weitere Kinder. Seitdem ihr Mann sie vor Jahren verlassen hat, besteht ihr Leben praktisch nur mehr aus Schufterei. Denn um über die Runden zu kommen, ist sie gezwungen, neben ihrem Job als Beschäftigte einer Reinigungsfirma, mehrere Nebenjobs als Putzfrau auszuüben. Ohne dafür bei der Sozialversicherung angemeldet zu sein, was sich später negativ auf ihre Rente auswirken wird.

Mit solchen Überlegungen beschäftigt sie sich derzeit jedoch nicht. Das einzige was heute für sie zählt, ist, das nötige Geld zu verdienen, um sich und ihren Kindern so weit es geht ein Leben in Würde zu ermöglichen. Ihr Ziel ist, dass es ihren Kindern später besser ergehen soll als ihrer Mutter. Denn seit sie in Luxemburg lebt, war sie jederzeit gezwungen, jeden Euro mehrmals in der Hand zu drehen, bevor sie ihn ausgeben konnte, Sowohl früher als Frau eines wenig verdienenden Hilfsarbeiters wie auch heute als Mindestlohnbezieherin. Das Geld, das sie durch ihre Nebenjobs verdient, kommt ihr deshalb sehr gelegen. Darauf verzichten kann sie nicht, auch wenn das Familienleben sehr unter der riesigen Belastung leidet. Schließlich ist sie tagsüber praktisch ständig außer Hause.

Ihre ältere Tochter, eine gelernte Dekorateurin, ist seit dem erfolgreichen Abschluss ihrer Lehre arbeitslos, und kann sich deshalb am Unterhalt der Familie nicht beteiligen. Erst recht nicht, wenn sie in einigen Monaten kein Anrecht mehr auf Arbeitslosegeld haben wird. Um die 100 Bewerbungen hat sie bislang verschickt. Die meisten davon blieben unbeantwortet. Und bei den wenigen Rückmeldungen ging es über ein Vorstellungsgespräch nie hinaus. Eine Situation, die ihr immer schwerer zu schaffen macht.

Probleme, die ihre jüngere Schwester nicht kennt. Sie ist Lehrling in einem großen Friseurladen. Wie es allerdings nach der Gesellenprüfung um sie bestellt sein wird, weiß sie nicht, da auch in dieser Berufssparte nach bestandenem Examen immer seltener eine feste Anstellung folgt.

Die vielen sozialen Probleme der am Rande der Armut lebenden Familie sind eine der Ursachen, weshalb Carlos schon ab dem kommenden Schuljahr eine Lehre antreten will. Es ist nämlich die bescheidene Lehrlingsentschädigung, die er ab September verdienen und in die Familienkasse einfließen lassen will, die vorranging seine Entscheidung beeinflusst hat.

Das Los dieser Familie ist beileibe kein Einzelfall. Denn wie es eine offizielle Studie belegt, ist jede zweite Alleinerzieherin von Armutsrisiko bedroht. 14 Prozent aller Haushalte leben im reichen Luxemburg in Armut oder sind von Armut bedroht. Viele davon schuften tagein tagaus, um am Monatsende dennoch mit leeren Taschen da zu stehen. Es sind allen voran diese Menschen, die am meisten unter dem von Patronat und Regierung diktierten Sozialabbau leiden. Eine Schande.

Das gilt es zu ändern, was nur möglich ist, wenn wir uns alle zusammen solidarisch gegen Austerität und Indexklau einsetzen.

gilbert simonelli