Leitartikel01. September 2021

Nächste Runde im »Great Game«

von

Nachdem es der USA-Imperialismus in 20 Jahren nicht geschafft hat, Afghanistan mit militärischen Mitteln zu unterwerfen, greift er nun offenbar auf die völkermörderische Sanktionswaffe zurück.

Zum Höhepunkt der imperialistischen Intervention waren mehr als 130.000 Soldaten der USA und ihrer NATO- und sonstigen Verbündeten in 400 Militärbasen stationiert, weitere 300 Stützpunkte wurden für die Marionettenarmee aus dem Boden gestampft. Doch weder die »afghanischen Sicherheitskräfte« noch die Besatzungssoldaten konnten (oder wollten?!) verhindern, daß die Zahl schwerer Verbrechen wie Morde, Entführungen und Gewalt gegen Frauen in die Höhe schoß, die gesamte öffentliche Verwaltung in einem Sumpf der Korruption versank und 90 Prozent der Weltproduktion an Opium und 80 Prozent des Heroins im Jahr 2019 in Afghanistan stattfand.

Auch wenn mittlerweile der letzte USA-Soldat den Kabuler Flughafen verlassen hat, so gibt es noch immer die Sanktionswaffe im Arsenal. Doch schon im vergangenen Jahr hatte der völlig korrupte Kabuler Präsidentendarsteller Aschraf Ghani, nach dessen überstürzter Flucht in die Vereinigten Arabischen Emirate sich Dollarbündel auf dem Rollfeld fanden, gewarnt, neun von zehn Afghanen lebten unterhalb der Armutsgrenze von zwei US-Dollar pro Tag.

Und nun sollen die Taliban – und mit ihnen die geschätzt 38 Millionen Afghanen! – sowohl von den Bankeinlagen des afghanischen Staates als auch vom internationalen Finanzsystem abgeschnitten werden. Dazu hat Washington fast 9,5 Milliarden US-Dollar, die die Afghanische Zentralbank bei der Fed und bei anderen Finanzinstitutionen mit Sitz in den USA geparkt hat, blockieren lassen.

Gleichzeitig hat der von Washington kontrollierte Internationale Währungsfonds IWF den Plan »ausgesetzt«, Afghanistan 460 Millionen US-Dollar aus seinen Notreserven zukommen zu lassen, und hat das Land von milliardenschweren Sonderziehungsrechten, die im Gegensatz zu den Krediten, die der IWF an »reformwillige« Staaten vergibt, nicht zurückgezahlt werden müssen, ausgeschlossen.

Auch Britannien sowie Deutschland, Frankreich und der Rest der EU beteiligen sich an der finanziellen Erdrosselung Afghanistans und haben ihrerseits 1,3 Milliarden US-Dollar in Pfund und Euro eingefroren und ihr vor neun Monaten auf einer »Geberkonferenz« in Genf gegebenes Versprechen, Afghanistan in den nächsten vier Jahren gut zehn Milliarden Euro zukommen zu lassen, bereits gebrochen.

Ajmal Ahmady, bis Mitte August Gouverneur der afghanischen Zentralbank, hat aus sicherer Entfernung gezwitschert, die Taliban hätten seiner Einschätzung nach nur Zugriff auf »vielleicht 0,1 bis 0,2 Prozent« der im Ausland liegenden Geldreserven Afghanistans. Wenn die Taliban nicht auf die Zentralbankreserven zugreifen könnten, werde das zu einem Absturz der Währung, Hyperinflation und noch mehr Armut führen. Am Ende seiner Kurznachricht schrieb der in den USA aufgewachsene und mit der USA-Staatsbürgerschaft ausgestattete Ex-Zentralbanker ohne Umschweife: »Jetzt kann Afghanistan nur noch dann an sein Geld gelangen, wenn es mit den USA verhandelt.«

Um es klar zu sagen: Wenn man ein Land, das seit 20 Jahren davon abhängig ist, daß alle paar Wochen frische Dollars geschickt werden, weil seine Importe fünfmal so hoch sind wie seine Exporte und Dreiviertel seiner öffentlichen Ausgaben aus dem Ausland stammen, von heute auf morgen von fast allen Geldquellen abschneidet, dann provoziert man eine Hungersnot.