Ausland11. September 2021

Geld im Überfluß

von Lucas Zeise

Man könnte annehmen, daß die schier unendliche, weil durch keinerlei ökonomisches oder juristisches Gesetz eingeschränkte Geldvermehrung zum Merkmal des aktuellen Stadiums des Kapitalismus geworden ist und jeweils von ökonomischen Krisen hervorgerufen wird. Das ist nicht ganz richtig. Vielmehr tritt die Geldvermehrung schon vor den Krisen auf.

Wie man erwarten würde, wird Geld vermehrt in Zeiten des Aufschwungs und der Hochkonjunktur geschöpft. Im blühenden Kapitalismus, den es zuweilen ja gibt, vermehrt sich so die Geldmenge etwa in dem Maße, wie sich Kapital akkumuliert, also das Produktions- und Profitpotential vermehrt. Wie aber die Erfahrung und einige kluge Ökonomen, wie zum Beispiel Karl Marx oder John M. Keynes lehren, führt Hochkonjunktur zu Überakkumulation und Krise.

Außerdem führen überschäumende Kreditvergabe und Geldschöpfung zu aufgeblähten Finanzinstitutionen, wüst steigenden Vermögenspreisen, enorm anziehender Verschuldung und dem dann folgenden Finanzkrach. Dem Crash von 2007/08 ging eine im historischen Vergleich nie dagewesene Ausweitung der Geldschöpfung, also der Kreditvergabe, der Verschuldung des realen Kapitals, der Finanzinstrumente und -institutionen voraus.

Bemerkenswert ist dabei, daß die »Heilung« der jeweiligen Krise durch noch mehr Geld erfolgt, die gefährdeten Positionen der Vermögenden also durch frisches Geld im System geschützt werden. Beobachter haben dafür das treffende Bild des Heroinabhängigen gefunden, dessen Entzugserscheinungen durch eine neue Spritze Stoff vorübergehend gemildert werden. Das Resultat ist eine noch höhere Verschuldung, die auch nach der Krise nicht einfach verschwindet, sondern mitgeschleppt wird. Das Sonderbare an dem Phänomen ist, daß es kaum je als ökonomisch relevant behandelt wird. Die Frage, wieviel Verschuldung sich das Weltkapital leisten kann, wird nicht diskutiert, geschweige denn beantwortet.

Dabei tritt der Überfluß an Geld deutlich zutage, wenn die Krise in den Zwischenperioden wie gerade jetzt besänftigt ist. Die Zinsen sinken – unter dem Gezeter der Gläubiger, Banken, Fonds und Anlageberater – auf unter Null. Spekulanten, Groß- und Kleinunternehmen kommen an jede Menge Geld, wenn sie Projekte finanzieren wollen. Sie nehmen Kredite auf, um den erwarteten Gewinn nach oben zu hebeln und treiben damit die sonderbare Geldvermehrung wieder und weiter an.

Auf der anderen Seite sinken auch die dem real agierenden Kapital verbleibenden Profite, weil ein immer größerer Anteil in Richtung des Geldkapitals (Banken, Schattenbanken, Hedge- und Private-Equity-Fonds etc.) abgegeben werden muß. Das Ergebnis sind sinkende Investitionen und niedriges Wachstum. Mit »Sorge« stellen führende Ökonomen fest, daß Volkswirtschaften nach einem Finanzkrach von einer lang dauernden Stagnationsphase geplagt werden.