Ausland16. November 2021

Klima-Milliarden für die Wettbewerbsfähigkeit

Deutsche Unternehmen fordern Staatssubventionen für die Energiewende. Zahlen sollen weder Wirtschaft noch Reiche.

von German Foreign Policy

Deutschlands Wirtschaftsverbände fordern von der künftigen Bundesregierung milliardenschwere Investitionsprogramme, um den Anschluß auf etlichen potentiellen Zukunftsmärkten nicht zu verlieren. In einer vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und dem Wirtschaftsberatungsunternehmen Boston Consulting Group veröffentlichten Studie heißt es, bis 2030 müßten insgesamt – von Staat, Unternehmen und Privathaushalten – rund 860 Milliarden Euro aufgewandt werden, um die gesetzlich festgelegten Klimaziele der Bundesrepublik zu erreichen.

Demnach soll bis zum Jahr 2030 der Ausstoß von Treibhausgasen in der Bundesrepublik um 65 Prozent reduziert werden; für das Jahr 2045 ist die Treibhausgasneutralität vorgesehen. Deutschland stehe vor einem »gewaltigen Kraftakt«, der bis zur Jahrhundertmitte »Mehrinvestitionen in Billionenhöhe« erforderlich mache, erklärt der BDI. BDI-Präsident Siegfried Russwurm erklärte bei der Vorstellung der Studie, das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 sei »extrem ambitioniert« und erfordere »einen großen Aufbruch mit einem historischen und schnellen Wirtschaftsprogramm«, um die Zukunft des Standortes Deutschland zu sichern. Nun seien die politischen »Grundsatzentscheidungen« dazu überfällig; die Zeit laufe davon. Konkret notwendig seien »allein bis 2030 Mehrinvestitionen von etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr«.

»Veränderungsprozeß ohne Brüche«

Staatliche Investitionen sollen dabei vor allem in den Aufbau einer entsprechenden energetischen Infrastruktur fließen, die die Grundlage neuer, »grüner« Märkte bilden soll. Der BDI spricht in diesem Zusammenhang von einem »Investitionsturbo«, der im Rahmen der Umstellung auf Elektromobilität »einen massiven Aus- und Neubau von Strom-, Wasserstoff- und Ladeinfrastrukturen« zu ermöglichen habe. Der Staat müsse laut BDI auch massiv in »die Erzeugung erneuerbaren Stromes und Wärme«, in Schienennetze und Elektromobilität investieren.

Da der »Handlungsdruck und die Risiken« der anstehenden energetischen Transformation immens seien, sei eine »zentrale strategische Steuerung« des Transformationsprozesses durch den Staat unumgänglich. Es gelte vor allem, den komplexen Veränderungsprozeß ohne »soziale und ökonomische Brüche« ablaufen zu lassen, mahnte Russwurm. Dem globalen Klimaschutz sei nicht gedient, wenn »die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und der europäischen Industrie auf der Strecke bliebe«, erklärte der Industrielobbyist. Man wolle als globales Vorbild dafür dienen, daß »Klimaschutz und Wohlstand vereinbar« seien.

Handlungsempfehlungen

Laut der neuen Studie wird die »staatliche Unterstützung der Transformation«, die der BDI für notwendig hält, allein im Jahr 2030 47 bis 50 Milliarden Euro betragen. Für den Zeitraum bis 2030 fordert der BDI öffentliche Investitionen von insgesamt 230 bis 280 Milliarden Euro, die durch »Einsparungen im Bundeshaushalt, Abgaben, Steuern, oder Schulden« finanziert werden müßten. In gleichzeitig mit der Studie publizierten »Handlungsempfehlungen« konkretisiert der Wirtschaftsverband seine Subventionsforderungen.

Den Löwenanteil soll dabei ein »massiver Infrastrukturaufbau über die bestehenden Planungen hinaus« ausmachen, bei dem 145 Milliarden Euro für »Strom-, Wasserstoff-, Fernwärme und CO2-Netze« sowie für »Lade- und Wasserstoffinfrastruktur« aufzubringen seien. Damit hofft der BDI, den Rückstand bei diesen Technologien gegenüber Konkurrenten wie China aufholen zu können, wo der entsprechende Infrastrukturaufbau schon weiter vorangeschritten ist.

Die Wirtschaftslobbyisten klagen darüber hinaus, bislang fehle vielen Unternehmen an ihren Standorten »Zugang zu klimafreundlichen Energien«; die steigenden CO2-Preise würden dadurch zu einer »finanziellen Belastung ohne Klimaschutzwirkung«. Des Weiteren fordert der BDI massive Subventionen für die Industrie im Rahmen der Umstellung auf regenerative Energieträger. Um die höheren »Nutzungskosten CO2-armer Produktionsverfahren und Energieträger« wettbewerbsfähig zu machen, bedürfe es einer »staatlichen Kofinanzierung« der Nutzungsentgelte, einer »vollständigen Abschaffung der EEG-Umlage« und »verläßlicher Betriebskostenzuschüsse für den Markthochlauf von Wasserstoff und strombasierten Kraftstoffen«.

Einen Gesamtpreis für diese Subventionsforderungen nennt der BDI nicht; in seiner Studie ist aber die Rede von höheren Energie- und Materialkosten von 15 bis 23 Milliarden Euro, die »verläßliche Ausgleichinstrumente für besonders gefährdete Branchen« zwecks Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit erforderlich machten.

Neue »Klima-Außenpolitik«

Nicht zuletzt fordert der BDI angesichts der weit vorangeschrittenen Klimakrise, die eine schnelle Umsetzung der Energiewende unumgänglich macht, »deutlich straffere Planungs- und Genehmigungsverfahren«. Für langwierige Entscheidungsprozesse sei keine Zeit mehr da. Die »Entbürokratisierung« im Inneren, die es ermöglichen soll, Investitionsvorhaben rasch umzusetzen, müsse mit Weichenstellungen für »neue internationale Energiepartnerschaften« einhergehen, bei denen Partnerländer für den Import »grüner Energieträger« identifiziert werden sollen, verlangt der BDI. Berlin muß sich demnach stärker auf eine »europäisch und international abgestimmte Klimapolitik« fokussieren, um eine globale Vorreiterfunktion beim Klimaschutz zu erringen; das wiederum soll der deutschen Exportwirtschaft im Rahmen der Transformation auf klimaneutrale Produkte eine führende Position auf den Weltmärkten sichern.

Wer die Zeche zahlt

Der BDI bezeichnet die Energiewende zwar als eine Mammutaufgabe, die zusätzliche Steuern und Abgaben erforderlich macht; zugleich lehnt er aber jegliche Steuererhöhungen für Unternehmen und Reiche ab. Es gelte den »Abbau der hohen Neuverschuldung und notwendige Investitionen in Klimaschutz sowie die digitale Transformation« in Einklang zu bringen, hieß es bereits Anfang Oktober in einem Positionspapier, das eine effektive Absenkung der Unternehmenssteuern von derzeit rund 30 Prozent auf 25 Prozent fordert. Zusätzlich verlangt der Wirtschaftsverband umfassende steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in den Klimaschutz, etwa für »Ausgaben für energieeffizientere Gebäude und Anlagen«.

Von einer künftigen Regierungskoalition erwartet die Wirtschaft zwar Fortschritte beim Klimaschutz; doch überwiege die Skepsis, wenn es um »Reformbereitschaft« beim »Thema Rente« oder bei der »Rückkehr zur Schuldenbremse und Entlastungen der Unternehmen« gehe, wird berichtet. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, fordert etwa, es müßten die »Sozialversicherungssysteme stabilisiert« werden; »die Schulden, die wir aufnehmen mußten, müssen zurückgezahlt« werden.

Einen ersten Etappensieg konnten die Industrieverbände bereits verbuchen: Wirtschaftskreise nahmen, wie es heißt, »mit Erleichterung« den Verzicht auf Steuererhöhungen bereits im Rahmen der Sondierungsgespräche zwischen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zur Kenntnis.