Ausland19. Juni 2021

Der große Krieg

Washingtoner Militärs debattieren über einen Krieg der USA gegen China. Der könnte »vielleicht schon 2026 oder 2024« beginnen

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Vor Beginn der Asien-Pazifik-Fahrt der deutschen Fregatte »Bayern« schwillt unter hochrangigen US-amerikanischen Militärs die Debatte über Form und Zeitpunkt eines möglichen großen Krieges gegen China an. Admiral a.D. James G. Stavridis, ein ehemaliger Oberbefehlshaber der NATO und Autor eines Romans über einen solchen Krieg, hielt den Beginn von Kämpfen bis vor kurzem im kommenden Jahrzehnt für denkbar. Als mögliche Auslöser gelten die Auseinandersetzungen um Taiwan oder um Inseln im Süd- und Ostchinesischen Meer.

Allerdings verschiebt sich Stavridis zufolge das militärische Kräfteverhältnis zwischen den USA und China rasant, und zwar zugunsten der Volksrepublik, die in Teilbereichen – beispielsweise bei der Zahl ihrer Kriegsschiffe oder in der Cyberkriegführung – bereits aufgeholt habe. Stavridis warnt mittlerweile, »die Schlacht« zwischen Washington und Beijing könne »viel früher kommen«. Dabei spielten die Verbündeten eine zentrale Rolle; die USA bänden sie gezielt in immer »aggressivere« Operationen z.B. im Südchinesischen Meer ein. Zu den erwähnten Verbündeten gehört auch Deutschland.

Ein erfahrener Stratege

Mit ausdrücklichen Warnungen vor einem großen Krieg zwischen den USA und China tritt aktuell James G. Stavridis an die Öffentlichkeit. Der hochdekorierte Admiral im Ruhestand hat im Laufe seiner militärischen Karriere Kriegsschiffe unter anderem im Mittelmeer sowie im Persischen Golf geführt; in der Zeit von 2002 bis 2004 kommandierte er die Flugzeugträgerkampfgruppe um die »USS Enterprise«, die damals unter anderem Operationen im Irak-Krieg durchführte. Im Sommer 2009 übernahm er die Leitung des U.S. European Command und zugleich den Posten des NATO-Oberbefehlshabers (Supreme Allied Commander Europe, SACEUR); beide Posten hatte er bis Mai 2013 inne.

Anschließend amtierte er gut fünf Jahre lang als Dekan der Fletcher School of Law and Diplomacy an der renommierten Tufts University bei Boston, Massachusetts. Stavridis, der gerne darauf verweist, daß er einen erheblichen Teil seiner Laufbahn bei der U.S. Navy in asiatisch-pazifischen Gewässern verbrachte, ist als Autor militärisch-strategischer Fachbücher hervorgetreten, darunter breit rezipierte Werke. Sein jüngstes, in Romanform verfaßtes Buch beschreibt einen möglichen US-amerikanisch-chinesischen Krieg (vgl. unsere Rezension).

Das militärische Kräfteverhältnis

Stavridis hat in Interviews und Artikeln zuletzt immer wieder auf zwei in diesem Zusammenhang zentrale Faktoren hingewiesen: auf die Entwicklung des militärischen Kräfteverhältnisses zwischen den USA und China sowie auf die Bedeutung ihrer Bündnissysteme. Militärisch holt die Volksrepublik Stavridis zufolge rasch auf und hat auf einigen Feldern die USA inzwischen überholt. So verfügt die chinesische Marine bereits über mehr Kampfschiffe (rund 350) als die U.S. Navy (ungefähr 300) und stellt »fast wochenweise« neue Kriegsschiffe in Dienst. Freilich müsse man dabei berücksichtigen, daß Kriegsschiffe der USA in der Regel größer, besser ausgerüstet und mit erfahreneren Mannschaften ausgestattet seien, konstatiert der Admiral.

Rapide Fortschritte macht China Stavridis zufolge auch bei der Rüstung für den Cyber- und den Weltraumkrieg. Für den Fall, daß es bei Taiwan, im Süd- oder im Ostchinesischen Meer zu Kämpfen komme, besitze die Volksrepublik selbstverständlich geographische Vorteile, da die USA-Streitkräfte in großer Entfernung von ihrem Heimatterritorium operieren müßten, räumt der USA-Militär ein. Zudem habe Beijing sich mit seinen Stützpunkten auf Inseln im Südchinesischen Meer »unsinkbare Flugzeugträger« geschaffen, die die Militärbasen der USA in Japan und Südkorea sowie auf Guam in gewissem Maß ausbalancierten.

Die Bedeutung von Bündnissen

Hohe Bedeutung mißt Stavridis den Bündnissystemen der USA bei. Den Kern bildeten im Falle eines Krieges gegen China, urteilt der Admiral a.D., Japan, Südkorea und Australien – auch deshalb, weil die Streitkräfte der USA dort über Stützpunkte und Rückzugsmöglichkeiten verfügten. Darüber hinaus unterhielten die USA Bündnisverträge mit Neuseeland, den Philippinen und Thailand – und sie könnten sich zudem auf »sehr starke Partnerschaften mit Singapur, Vietnam und Malaysia« stützen. Zusätzlich würden die Beziehungen zu Indien immer enger. Zwar sei fraglich, ob man sich schon heute auf militärische Unterstützung von all diesen Ländern verlassen könne – doch Washington arbeite daran. Einen zentralen Stellenwert mißt Stavridis dem Quad-Pakt (Quadrilateral Security Alliance) der USA mit Japan, Australien sowie Indien bei.

Hinzu kämen schließlich noch die Verbündeten in Europa, die »fähig zu globalen Einsätzen im Pazifik« seien, ganz besonders Britannien, Frankreich und Deutschland; diese hätten inzwischen ihre prinzipielle Bereitschaft bekräftigt, sich zumindest an Patrouillenfahrten im Südchinesischen Meer zu beteiligen. Dem globalen Bündnissystem der USA könne China »keine gleichwertigen Strukturen« entgegensetzen.

Wann der Krieg beginnt

Mögliche Auslöser für eine Kriegseskalation sieht Stavridis vor allem in den Auseinandersetzungen um Taiwan sowie um diverse Inseln im Süd- und im Ostchinesischen Meer. Dabei verfüge das US-amerikanische Militär in einem Waffengang, der wohl vor allem von See- und Luftstreitkräften geführt werde – einen Landkrieg in Ostasien schließt er aus –, zur Zeit über einen, wenngleich knappen, Vorteil: »Unsere Technologie, unser Netzwerk von Verbündeten und Stützpunkten in der Region«, aber auch High-Tech-Waffensysteme wie Drohnen aller Art und militärische Fähigkeiten im Weltraum überträfen die chinesischen Kapazitäten – »noch«.

Allerdings mache China »rasant« Fortschritte, »und gegen Ende des Jahrzehnts, wenn nicht sogar früher, wird es in der Lage sein, die USA im Südchinesischen Meer tatsächlich herauszufordern«. Stavridis, der seinen neuen Roman nach dem Jahr, in dem ein US-amerikanisch-chinesischer Krieg möglicherweise beginnen könnte, »2034« genannt hat, fügt inzwischen hinzu: »Wir haben vielleicht nicht mehr bis 2034 Zeit, uns auf die Schlacht vorzubereiten – sie könnte viel früher kommen.« »Eine der häufigsten Reaktionen« auf laute: »sehr gutes Buch, aber falsches Datum«. Hochrangige Militärs seien der Auffassung, es gehe »nicht um 2034, sondern eher um 2024 oder 2026«.

Marinekoalition gegen China

Die Administration von USA-Präsident Joe Biden forciert ihre Vorbereitungen auf einen möglichen Krieg gegen China auf allen Ebenen – mit dem Bestreben, sich ökonomisch wie auch technologisch von der Volksrepublik unabhängig zu machen, aber auch mit militärischen Maßnahmen. So hat Pentagonchef Lloyd Austin vergangene Woche angekündigt, schnellstmöglich die Empfehlungen einer von ihm im Februar eingesetzten »China Task Force« umzusetzen; sie werden geheimgehalten, zielen aber laut Austin darauf ab, die USA-Streitkräfte mit aller Energie auf den Machtkampf gegen China zu orientieren und zudem die Kooperation mit verbündeten Staaten »zu optimieren und zu stärken«.

In diesen Kontext gehört, daß die USA-Marine Stavridis zufolge in Zukunft wohl nicht nur »aggressivere Patrouillenfahrten durch die Gewässer vor China unternehmen«, sondern zunehmend auch »Kriegsschiffe von Verbündeten in diese aggressiveren 'Freedom of Navigation'-Patrouillen einbinden« wird: »Das internationalisiert den Gegenstoß gegen chinesische Souveränitätsansprüche im Südchinesischen Meer.«

Letztlich gehe es darum, »eine globale Marinekoalition zu schaffen, um den überaus fähigen Streitkräften der chinesischen Volksbefreiungsarmee entgegenzutreten« – kurz vor einem möglichen großen Krieg.