Leitartikel07. August 2021

Olympiade des Kapitals

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Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit, daß die Interessen des Kapitals – im wahrsten Sinne des Wortes »Kapital« – über den eigentlichen olympischen Gedanken gestellt werden. Die Einführung von Sportarten, die vorwiegend den großbürgerlichen Kreisen vorbehalten sind, die Zulassung von Berufssportlern, der zunehmende Einfluß großer Konzerne bildeten den Anfang. Die Vergabe der Sommerspiele 1996, 100 Jahre nach den ersten Olympischen Wettkämpfen seit der Antike, nach Atlanta, dem Heimatort eines der zahlungskräftigsten Sponsors, statt an den olympischen Geburtsort Athen, machte deutlich, wer hier bezahlt und demzufolge auch die Musik bestimmt.

Der eigentliche olympische Gedanke, nämlich der friedliche Wettstreit von Sportlern aus aller Welt, unabhängig von ihrer Herkunft, wird ohnehin dadurch verletzt, daß es im Gegensatz zur Antike in der »Neuzeit« nicht möglich ist, während der olympischen Wettkämpfe weltweit die Waffen ruhen zu lassen, Kriege und militärische Konflikte anzuhalten und womöglich zu beenden. Da waren uns unsere Vorfahren in »grauer Vorzeit« weit voraus.

Und nun diese Schande. Das Internationale Olympische Komitee unter dem Vorsitz des Deutschen Thomas Bach verweigert eine Minute des schweigenden Gedenkens an die Opfer eines der größten Kriegsverbrechen des vorigen Jahrhunderts. Der Bürgermeister der Stadt Hiroshima hatte – ganz im Geiste des olympischen Gedankens – den Vorschlag unterbreitet, die Wettkämpfe am 6. August um 8.15 Uhr für einen Moment ruhen zu lassen, um der Zehntausenden Opfer zu gedenken, die durch den Abwurf der ersten Atombombe der USA im Jahr 1945 über der japanischen Großstadt Hiroshima getötet oder lebenslang körperlich und seelisch verletzt wurden. Um die »Hibakusha« zu ehren, die Nachfahren der Opfer jenes Kriegsverbrechens, von dem die USA bis heute behaupten, mit dem Einsatz der bis dahin tödlichsten Massenvernichtungswaffe den japanischen Gegner besiegt und zur Kapitulation gezwungen zu haben.

Tatsache ist, daß auch der Abwurf der zweiten Bombe am 9. August 1945 über der japanischen Großstadt Nagasaki keinerlei militärischen Sinn hatte. Japan war zu jener Zeit bereits militärisch besiegt, zumal an jenem 9. August 1945 die Sowjetunion – wie mit den westlichen Alliierten vereinbart – Japan den Krieg erklärte und in den Krieg in Asien eintrat. Das und die rasanten Gebietsverluste der japanischen kaiserlichen Truppen bewirkten die Kapitulation.

Allerdings sind die großen Konzerne und die Medien weder in Japan, noch in den USA oder in Herrschaftsbereich der Europäischen Union heute daran interessiert, diese Wahrheit zu verbreiten. Sie stört beim Aufbau der neuen Feindschaften, die eigentlich nicht viel mehr sind als eine Erneuerung alter Feindseligkeiten. In den USA möchte man nicht gern an diese Kriegsverbrechen erinnert werden, und in Japan möchte man um jeden Preis vermeiden, auf die Schuld der USA hinzuweisen, des gegenwärtig wichtigsten politischen und militärischen Verbündeten.

Und vor allem stört ein solches Gedenken das Geschäft. Die großen Medien sähen sich womöglich veranlaßt, darüber zu berichten. Das ist nicht im Interesse der 14 Hauptsponsoren, von denen ganze sieben Konzerne mit Sitz in den USA sind. Und um deren Interessen müssen sich das IOC und sein Chef kümmern, nicht etwa um die Sorgen der Überlebenden oder gar um die Idee, sämtliche Atomwaffen endlich zu verbieten und abzuschaffen.