Ausland23. April 2022

Machtprobe bei den G20

Der Westen sucht per Sabotage des Treffens der G20-Finanzminister Rußlands Ausschluß zu erzwingen. Der Versuch, Rußland auch jenseits des Westens zu isolieren, scheitert bisher

von German Foreign Policy

In einer demonstrativen Machtprobe hatten die führenden Staaten des Westens eine faktische Sabotage des Treffens der G20-Finanzminister am Mittwoch angekündigt. Wie es in Berlin heißt, wolle man während und nach der Zusammenkunft »eine starke Botschaft« gegen die Teilnahme Rußlands setzen.

Die Machtprobe des Westens folgt auf gescheiterte Versuche, einflußreiche Staaten jenseits der transatlantischen Welt zur Teilnahme an der Isolierung Rußlands zu nötigen. Derlei Versuchen widersetzen sich neben China unter anderem Indien, Brasilien, Südafrika – die BRICS-Länder –, aber auch die Erdölstaaten der Arabischen Halbinsel und viele andere mehr.

Die Lücke schließen

Trotz massiven Drucks aus dem Westen halten zentrale Kooperationspartner Moskaus ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Rußland aufrecht oder bauen sie sogar aus. China zum Beispiel hat seinen Handel mit Rußland im ersten Quartal dieses Jahres um 28,7 Prozent gesteigert und damit ursprüngliche Planungen übertroffen, die bis 2024 ein Wachstum des chinesisch-russischen Warentauschs um gut 20 Prozent im Jahr vorsahen. Experten zufolge stockte das Wachstum im März ein wenig, weil zum einen mehr Transaktionen von US-Dollar auf einheimische Währung umgestellt werden mußten und zum anderen sanktionsbedingte Schwierigkeiten beim Warentransport zu überwinden waren. Beides kostet Zeit.

Allerdings gehen Beobachter davon aus, daß der Handel zwischen beiden Ländern schon bald weiter an Schwung gewinnen wird und chinesische Firmen einen Teil des Geschäfts übernehmen können, das Rußland bisher mit westlichen, vor allem europäischen Unternehmen abwickelte.

Peking ist bemüht, nicht offen gegen USA-Sanktionen zu verstoßen, und dringt daher auf Zurückhaltung bei Investitionen chinesischer Konzerne in Rußland. Auf lange Sicht sehen Experten allerdings Chancen für chinesische Firmen, die Lücke zu schließen, die der Ausstieg westlicher Investoren wie BP schafft.

Das Geschäft ausweiten

Auch Indien baut seinen Handel mit Rußland systematisch aus. Es kauft erheblich mehr russisches Erdöl als zuvor und hat nun auch begonnen, mehr russische Kohle zu beziehen. Ursache ist nicht nur, daß es – als Kooperationspartner Rußlands – russische Rohstoffe zu Vorzugspreisen erhält; die Nutzung größerer Mengen an Kohle sei unvermeidlich, heißt es in New Delhi, da Krieg und Sanktionen den Preis des Brückenenergieträgers Erdgas zu stark in die Höhe getrieben haben. Zudem nehmen indische Unternehmen die Lebensmittelausfuhren nach Rußland, die sanktionsbedingt nach Kriegsbeginn ins Stocken geraten waren, wieder auf und peilen ihre Ausweitung an; Rußland ist zudem um den Ersatz westlicher durch indische Medikamente bemüht.

Brasilien wiederum gelingt es trotz zunächst gegenläufiger Befürchtungen, den Düngemittelimport aus Rußland und aus Belarus aufrechtzuhalten. Wie zu Wochenbeginn gemeldet wurde, konnte Brasilia auch noch nach Kriegsbeginn vor allem Potassiumchlorid aus den beiden Ländern einführen, obwohl Finanz- und Logistiksanktionen dies erheblich erschweren. Der bislang jüngste russische Düngemitteltransport wurde demnach am 4. April auf den Weg gebracht und soll bald in Brasilien ankommen.

Das Revival der BRICS

Brasilien, China und Indien sind darüber hinaus gemeinsam mit Südafrika bemüht, ihre Kooperation im BRICS-Format weiterzuführen und auszubauen. Die Zusammenarbeit der BRICS-Staaten, die sich einst zusammengetan hatten, um sich gegen die Dominanz des alten Westens zu behaupten, war zuletzt ein wenig in den Hintergrund geraten – wegen innerer Differenzen: Die Regierung des ultrarechten brasilianischen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro orientierte sich zunächst an den USA unter deren Präsident Donald Trump; Indien verschärfte seine Rivalität zu China insbesondere nach der Eskalation des Grenzkonflikts im Himalaja im Frühjahr 2020.

Nun aber treibt das Bemühen, den gegen Rußland gerichteten Sanktionen der westlichen Mächte etwas entgegenzusetzen, die BRICS-Staaten wieder zu einem Ausbau der Kooperation. Für die zweite Junihälfte ist der nächste BRICS-Gipfel geplant; am Mittwoch hat Indiens Premierminister Narendra Modi seine Teilnahme fest zugesagt. Präsent sein wird bei dem virtuell geplanten Treffen auch Rußlands Präsident Wladimir Putin. Laut Berichten wollen die BRICS-Staats- und Regierungschefs insbesondere über den Ausbau ihres Handels in nationalen Währungen und den Aufbau von Zahlungssystemen jenseits von SWIFT und US-Dollar verhandeln. Damit ließen sich westliche Sanktionen umgehen.

Unter russisch-saudischem Vorsitz

Auch die Staaten der Arabischen Halbinsel weigern sich weiterhin, sich von den westlichen Mächten gegen Rußland in Stellung bringen zu lassen. Am Wochenende tauschten sich Putin und der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman telefonisch über die Erdölförderpolitik der OPEC -Staaten aus.

Die westlichen Mächte verlangen schon seit Wochen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sollten ihre Ölförderung deutlich ausweiten; damit soll ein weltweites Ölembargo gegen Rußland ermöglicht werden. Riad und Abu Dhabi verweigern sich der Forderung konsequent. Putin und Muhammad bin Salman stellten ihrer Kooperation im OPEC -Format am Wochenende ein positives Zeugnis aus.

Zuletzt war in der Branche aufmerksam registriert worden, daß die OPEC -Staaten Ende März auf einem Treffen unter russisch-saudischem Vorsitz in aller Form beschlossen, künftig keine Daten der International Energy Agency (IEA) mehr zu verwenden. Die unscheinbare Entscheidung ist in Wahrheit ein Affront gegen Washington, das in der IEA über massiven Einfluß verfügt; in der OPEC war der IEA vor kurzem vorgeworfen worden, Daten zu manipulieren, um den Druck zur Ausweitung der Ölförderung zu erhöhen. Das soll in Zukunft nun nicht mehr möglich sein.

Die G20 auf dem Spiel

Erfolglos sind die westlichen Mächte bislang nicht zuletzt bei ihrem Versuch, Rußland von den G20-Treffen auszuschließen. Den G20-Vorsitz hat dieses Jahr Indonesien inne, das sich dem Verlangen des Westens strikt widersetzt, Repräsentanten Rußlands nicht mehr einzuladen. Dabei stärkt ihm insbesondere China den Rücken. Die USA und mehrere Staaten Europas hatten daher angekündigt, das für Mittwoch angesetzte Treffen der G20-Finanzminister, das am Rande der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington stattfand, zu sabotieren. Die G7-Staaten würden »während und nach dem Treffen eine starke Botschaft« senden, hieß es vorab aus Regierungskreisen in Berlin. USA-Finanzministerin Janet Yellen und ihr britischer Amtskollege Rishi Sunak wollten die G20-Treffen ganz oder teilweise boykottieren, sollte Rußland auf ihnen vertreten sein.

Am Treffen am Mittwoch nahm der russische Finanzminister Anton Siluanow teil. Einige G7-Finanzminister haben den Raum verlassen, sobald Siluanow das Wort ergriff; zudem werde es nicht – wie üblich – eine gemeinsame Abschlußerklärung geben.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur verließen die Finanzministerinnen der USA und Kanadas, Janet Yellen und Chrystia Freeland den Raum. Der deutsche Finanzminister Christian Lindner dagegen sei geblieben, ebenso wie die übrigen Amtskollegen der G7-Staaten, hieß es.

Mit ihrer Machtprobe setzen die westlichen Staaten letztlich das gesamte G20-Format aufs Spiel.