Ausland24. November 2021

EU im Kriegsfieberwahn

Über die neue Militärdoktrin für die Europäische Union

von Rüdiger Göbel

Die scheidende deutsche Armeeministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kann wahrlich zufrieden sein. Bevor die nur noch geschäftsführend arbeitende Ministerin endgültig aus dem Amt scheidet, hat sie mit ihren Ressortkollegen der EU weitere Aufrüstung und Kriegsführungsfähigkeit der Europäischen Union festgeschrieben. Schluß mit »Soft Power«, die »strategischer Kompaß« genannte Militärdoktrin sieht die Aufstellung neuer schneller Eingreiftruppen vor, die global operationsfähig sind.

Laut dem vom EU-Außenbeauftragten Josep Borell vorgelegten Entwurf könnte die Einrichtung dieser Battlegroups bereits im kommenden Jahr beschlossen werden und bis zu 5.000 Soldaten umfassen. Bis 2025 schon soll diese »EU Rapid Deployment Capacity« dann einsatzbereit sein und je nach Bedarf Bodentruppen wie auch Luft- und Seestreitkräfte umfassen. Auch Weltraum- und Cyberkriegsfähigkeiten sowie Spezialeinsatzkräfte und strategische Lufttransportkapazitäten sollen bereitgestellt werden.

Es gehe darum, unterschiedliche miteinander kombinierbare »Module« zu haben, so Borell. Es sei nicht die Truppe, die den Einsatz bestimme, sondern der Einsatz bestimme die Truppe. Und der »Einsatz« ist weit gefaßt: Er soll Militärinterventionen in bewaffneten Konflikten umfassen, die Evakuierung bedrohter Menschen bis hin zur Sicherung eines Flughafens. Letzteres ist der Schmach von Kabul geschuldet.

»Europa ist in Gefahr«, warnt Borrell im Vorwort seines – vom deutschen Armeeministerium inspirierten – Entwurfs. »Unsere Bedrohungsanalyse zeigt, daß wir in einer sehr viel feindseligeren Welt leben, daß unser Wirtschaftsraum mehr und mehr umstritten ist, unser strategischer Raum mehr und mehr umkämpft wird und unser politischer Raum mehr und mehr degradiert wird«‘, zitiert das Onlineportal »euractiv« den für die Außenpolitik der EU zuständigen Kommissar. Der Blick reicht dabei auf die Krise an der belarussisch-polnischen Grenze, ins östliche Mittelmeer, wo das NATO-Mitglied Türkei die EU-Staaten Griechenland und Zypern im Ressourcenstreit auch schon einmal mit Krieg bedroht, oder in die Sahelzone, wo den EU-Interventionstruppen ein zweites Afghanistan droht.

Für die EU-Battlegroups soll das in der Europäischen Union geltende Einstimmigkeitsprinzip suspendiert werden. Zum Einsatz soll stattdessen – ganz nach schlechtem USA-Vorbild – eine selbstermächtigte »Koalition der Willigen« kommen können. Das Einsatzgebiet ist weit. Neben scheiternden Staaten an den Grenzen der EU werden laut »euractiv« namentlich Rußland und China in der EU-Militärdoktrin als Bedrohung aufgeführt.

»Alles wird zu einer Waffe – die Bedrohungen kommen von überall her und auf unterschiedliche Weisen – zu Lande, zu Wasser, hybrid, Cyber, klassisch – die Welt ist nicht mehr dieselbe wie früher«‘, barmt Borrell in einer Art Kriegsfieberwahn. »Wir wissen, daß der Einsatz von Gewalt kein Problem löst, aber wir wissen auch, daß das Fehlen von militärischer Macht vom Rest der Welt als Schwäche angesehen wird.«

Frau Kramp-Karrenbauer ist sichtlich stolz, daß dieses »Schlüsselprojekt« auf eine deutsche Initiative zurückgeht und von ihrem Ministerium maßgeblich »mitgestaltet« wurde. Und die Ministerin ist sich sicher, daß die neue Bundesregierung daran entsprechend anknüpfen wird – worauf bei den »Ampel«-Koalitionären SPD, Grünen und FDP wahrlich Verlaß ist. Die Verabredung zur Bewaffnung der Bundeswehr mit Killerdrohnen ist da nur ein erster Schritt.