Luxemburg17. November 2021

»Kollektive Erfahrung von Fremdbestimmung«

Ombudsman: Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie an Autonomie eingebüßt – vor allem, wenn sie aus armen und Einwandererfamilien kommen

von

Für Kinder und Jugendliche sei die Coronapandemie ein »einschneidendes Moment« gewesen, das auch »unsichtbare Spuren« hinterlassen habe, sagte am Dienstag der seit Jahresbeginn als nun vom Parlament eingesetzter Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher amtierende Pädagoge und ehemalige Pädagogiklehrer Charel Schmit in den neuen und größeren Räumlichkeiten des auch personell deutlich aufgestockten OKaJu im Mënscherechtshaus an der hauptstädtischen Route d'Arlon. Insbesondere sie hätten in der Pandemie an Autonomie eingebüßt und »eine kollektive Erfahrung von Fremdbestimmung« gemacht.

Das gelte besonders für Kinder und Jugendliche aus armen und aus Einwanderfamilien sowie für die rund 800 Kinder, die hierzulande nicht in ihren Familien aufwachsen können. In Kinderverwahranstalten seien die zur Eindämmung der Pandemie verhängten Maßnahmen oft »strikter als in der Schule oder in Familien« gewesen. In Krankenhäusern und psychiatrischen Einrichtungen habe monatelang nur ein Elternteil Besuchsrecht gehabt, und wegen zeitweise geschlossener EU-Binnengrenzen hätten Scheidungskinder ein Elternteil lange nicht sehen können.

Der alljährlich am 20. November begangene Internationale Tag der Kinderrechte erinnert an die Annahme der UNO-Kinderrechtskonvention durch ihre Generalversammlung an jenem Tag des Jahres 1989 und deren Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten der UNO bis auf die USA. Die Ratifizierung durch Luxemburg erfolgte 1993. Vom kinderrechtlichen Standpunkt aus betrachtet seien die Uhren in der Coronakrise zurückgestellt worden, beklagte der Ombudsman, hinsichtlich der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen hätten wir es mit einem »Rollback« zu tun. Gleichzeitig habe COVID-19 die bestehenden sozialen Ungleichheiten weiter verstärkt und »bestehende systemische Fehler, insbesondere im psychotherapeutischen und im Erziehungsbereich«, sichtbar gemacht.

Doch die Pandemie habe auch »zu einer unglaublichen Zunahme der Hilfsbereitschaft und Solidarität« geführt, sagte Schmit. Nur so sei es möglich gewesen, Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche auch während der Lockdowns und der, für Heranwachsende auf der Suche nach sich selbst natürlich besonders schlimmen, Ausgangsbeschränkungen aufrechtzuerhalten.

Wie Ines Kurschat ausführte, wurde Artikel 12 der UNO-Kinderrechtskonvention, der die Berücksichtigung des Kindeswillens und rechtliches Gehör für Kinder und Jugendliche proklamiert, in der Pandemie verletzt worden, weil sich die Krisenkommunikation der Regierung ausschließlich an Erwachsene gerichtet habe. Hierbei müsse es künftig gelingen, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Zur Gesundheitsfürsorge (Artikel 24) hieß es, obwohl sie sich seltener infizierten und noch seltener mit einem schweren Krankheitsverlauf zu kämpfen hätten, seien in Luxemburg seit Pandemieausbruch rund 100 Minderjährige mit COVID-19 im Spital und zehn mit Multiorganversagen in der Kinderklinik behandelt worden. Eine Studie des CHL über COVID-19-Langzeitfolgen bei Kindern laufe noch; es sei jedenfalls zu begrüßen, daß Jugendliche ab zwölf Jahren sich seit Juli impfen lassen können.

Ebenfalls noch nicht absehbar seien die COVID-19-Langzeitfolgen auf die mentale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen. Hätten vor der Pandemie 84 Prozent der Sekundarschüler und 91 Prozent der Primärschüler gesagt, sie seien mit ihrer schulischen Situation zufrieden oder gar sehr zufrieden, so hätten das während der Pandemie nur noch 76 Prozent der Primärschüler und 62 Prozent der Sekundarschüler gesagt. Zu den in der Pandemie verstärkt aufgetretenen Krankheitsbildern gehörten u.a. Angstkrisen und Depressionen sowie Eß- und Zwangsstörungen. Da der Sportunterricht zuerst eingestellt wurde, solle die Schulmedizin den weitverbreiteten Bewegungsmangel unter Kindern und Jugendlichen im Auge behalten.