Luxemburg08. September 2021

Populismus gegen den Rechtsstaat

Hauptstadtschöffenrat nach Hundebiß im Panikmodus

von Jean-Marie Jacoby

Im hauptstädtischen Bahnhofsviertel werden Drogen verkauft, weil es Kundschaft gibt, die Drogen nachfragt, und weil diese Nachfrage profitabel befriedigt werden kann, obwohl Luxemburg ein Prohibitionsgesetz hat. Das ist keine Neuigkeit, denn das war vor 50 Jahren auch schon so. Allerdings war damals das Verkaufspersonal noch nicht von dunkler Hautfarbe und fiel daher den braven Bürgern weniger auf.

Laut Gesetz verbotene Drogen zu verkaufen und zu kaufen ist ein Gesetzesverstoß. Wenn die Politik, wie das in der letzten Zeit geschah, die Polizei zwingt, da überaktiv zu werden, stellt diese viele Gesetzesverstöße fest, ohne damit irgendetwas daran zu ändern an der Nachfrage nach Drogen und an der weiteren Befriedigung dieser Nachfrage. Es wirkt sich das höchstens preissteigernd aus.

Statistisch führt das dann aber dazu, daß 40 Prozent der Delikte (und es ist nicht sauber, das wie Lydie Polfer es tut als »Kriminalität« zu bezeichnen) landesweit im hauptstädtischen Bahnhofsviertel festgestellt werden. Damit läßt sich dann trefflich populistische Politik mit vielen Nebelkerzen machen, um ein Unsicherheitsgefühl hochleben zu lassen. Würde sich die Polizei nicht um den Drogenhandel kümmern, gäbe es kaum Kriminalität in der Statistik fürs Bahnhofsviertel bis auf kleine Diebstähle und gelegentliche Schlägereien, wenn wieder mal welche über den Durst getrunken haben.

Als Schreiber dieser Zeilen kann ich bezeugen, daß seit über 50 Jahren Drogenverkaufspersonal im Viertel ist, mich oft angesprochen hat aber mich nie zwang, was zu kaufen oder mich in irgendeiner Form bedrohte. Wenn Leute Angst haben, an Dealern vorbeizugehen, ist diese Angst zwar real vorhanden, aber die Gefahr nicht, obwohl sie ständig von der Bürgermeisterin beschworen wird.

Sozialprojekte statt Problemlösung

Die Hauptstadt ist das Zentrum der konventionierten Sozialpolitik. Es laufen dutzende Projekte, denen allesamt eines eigen ist: sie schaffen Arbeitsplätze auf Dauer, denn sie lösen kein Problem. Sich dafür zu loben, wie es die Bürgermeisterin tut, ist folglich nichts als Populismus.

Eine Problemlösung käme mit dem Eingeständnis daher, die Drogen-Prohibitionspolitik sei gescheitert. Es müßte folglich Schluß damit sein mit der Einführung eines legalen und kontrollierten Verkaufs.

Schon seit Jahren ließe sich was verbessern, wenn der Drogenkonsumraum nicht nur rund um die Uhr offen wäre, sondern auch das Angebot auf mehrere Orte in kleineren Strukturen aufgeteilt würde. Seit 20 Jahren wird darüber geredet. Kaum ist ein anderer Standort gefunden, wird dagegen Sturm gelaufen. Leider hat sich die Lage mit der Eröffnung eines Drogenkonsumraums in Esch/Alzette nicht verbessert – mit dem Bevölkerungszuwachs stieg auch die Zahl der Drogenkonsumierenden.

Seit 15 Jahren wird auch darüber geredet, den Raum an der Route de Thionville rund um die Uhr offen zu halten, und es kommt und kommt nicht dazu. Die Folge sind herumliegende Spritzen im Bahnhofsviertel und Leute, die sich Spritzen an allen möglichen und unmöglichen Ecken setzen. Das mag brave Bürger schockieren, eine Gefahr ist das aber für sie so lange nicht, wie sie diese Leute einfach in Ruhe lassen.

Polizeistaat oder Rechtsstaat?

Wer soziale Probleme mit der Polizei lösen will, landet im Polizeistaat. Positiv ist inzwischen immerhin, wenn vom Polizeiminister kommt, mit der Polizei ließe sich das Drogenproblem nicht lösen – schon gar nicht, indem neben die staatliche Polizei ein zweites Corps gestellt werde. Das aber hat der Hauptstadt-Schöffenrat getan mit G4S-Personal und -Hunden.

Dieses Personal hat nach dem Gesetz gar keine Kompetenz einzuschreiten. Das wissen inzwischen die Leute, die von denen negativ angesprochen werden. Kriegen sie dann eine entsprechende Antwort, spricht Lydie Polfer von »Provokation«. Dann ist schon mal ein Faustschlag gerechtfertigt, der einen Mann zu Boden schlägt?

Und dann: der Hund wurde getreten. Na klar, wenn ein Mensch am Boden liegt und das Gebiß eines Hundes in dem einen Bein hat, dann tritt er mit dem anderen nach dem Hund. Das ist eine mehr als verständliche unwillkürliche Reaktion.

Es ist auch völlig unerheblich, ob der vom Hund Gebissene drei Stunden davor an einer Keilerei beteiligt war oder vor Monaten bei kleineren Diebstählen erwischt wurde. Immerhin mußte die Bürgermeisterin auf Nachfrage zugeben, nachdem sie im Zusammenhang mit der Geschichte minutenlang über den offenen Drogenverkauf geklagt hatte, sie könne nicht bestätigen, der Betroffene sei ein Dealer. Warum aber erweckt sie dann den Eindruck?

Fix ist aber, daß dieser Hund eine gefährliche Waffe ist, die auf den Straßen der Stadt nichts zu suchen hat. Egal was für Dokumente G4S über die Ausbildung des Hundes und des Hundeführers vorweisen kann, die Bilder sind eindeutig. Den nachweislich gefährlichen Hund hatte der Hundeführer absolut nicht im Griff. Es gelang ihm nur unter Mithilfe anderer, ihn dazu zu bringen, vom Opfer loszulassen. Das läßt sich nicht so schönreden, wie es Lydie Polfer getan hat.

Sie wird natürlich nicht zurücktreten, sie wird natürlich den bis 1. November laufenden Vertrag mit G4S nicht vorzeitig kündigen, weil die Gemeinderäte von DP und CSV sie alle stützen und das die Mehrheit ist. Es ist aber ein Hohn, wenn nicht Rechtsstaatsvorschriften entscheiden, was geschieht, sondern eine Versammlung aufgeheizter Bürger.