Ausland16. September 2021

Spionage per Post?

Schickte Elektriker Dokumente an russische Botschaft?

von Ralf Hohmann

Im Mittelpunkt des ersten Verhandlungstages am 1. September gegen den Elektrofachmann Jens F. am Berliner Kammergericht stand eine Briefmarke. Sie klebte auf einem Umschlag, den der Angeklagte im September 2017 an die russische Botschaft in Berlin versandt haben soll. Der Vorwurf lautet auf geheimdienstliche Tätigkeit. In dem absenderlosen DIN-A4-Umschlag – so die Anklage – sei eine CD mit 385 PDF-Dateien mit Grundrißzeichnungen des Reichstagsgebäudes und bundeseigener Liegenschaften in Berlin enthalten gewesen.

Der Brief war an den Militärattaché der russischen Botschaft in Berlin adressiert. Die Bundesanwaltschaft vermutet, der Militärattaché sei Angehöriger des Armeegeheimdienstes GRU.

Die Briefmarke mit dem Motiv »Elbphilharmonie« könne laut Anklage nur von Jens F. stammen. Denn bei einer Durchsuchung der Geschäftsräume seines »Arbeitgebers«, einer Elektrofirma, die im Reichstagsgebäude Wasserkocher und Kaffeemaschinen überprüft hatte, fand man einen Satz motivgleicher 1,45-Euro-Briefmarken. Angesichts einer zweistelligen Millionenauflage der seit dem 2. Januar 2017 in Umlauf befindlichen Marke ein mehr als dürftiger Beweis.

Nach den Ermittlungen von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA) befinde sich die Wohnung des Jens F. »im Einzugsbereich jener Postfiliale, in der der Brief abgestempelt« wurde. Damit müßte der Brief direkt in der Postfiliale abgegeben worden sein, denn nur vor Ort wird gestempelt. Das eröffnet einen Einzugsbereich von 12.000 möglichen Verdächtigen, falls der Absender die nächstgelegene Filiale gewählt hat. Damit ist der Poststempel noch nicht einmal ein Indiz.

Ein weiterer »gewichtiger« Anhaltspunkt liege darin, daß Jens F. Russischkenntnisse aufweise. Die CD sei mit dem Hinweis »Besondere Wichtigkeit« in russischer Sprache beschriftet gewesen – eine Aufschrift, die jeder Sprachunkundige per Google-Übersetzer samt Schreibweise in kyrillischen Lettern herausfinden kann. Schließlich seien die Ermittlungsbehörden darauf gestoßen, daß Jens F. vor über 30 Jahren Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA) in Löbau gewesen sei und sein Studium an der Offiziershochschule der Landstreitkräfte »Ernst Thälmann« als »Politoffizier« mit Bravour bestanden habe. Und »wie jeder Politoffizier« habe er »enge Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit« gehabt, will die »Tagesschau« des Staatsfernsehens ARD wissen.

Jens F. schweigt. Sein Verteidiger stellt fest: Keines der Dokumente trug einen Geheimhaltungsvermerk, »es gibt keine Beweise, wer die CD durch die Gegend geschickt hat«, die Ermittlungsbehörden hätten sich »einen Brei« zusammengerührt. So konnte auch nicht festgestellt werden, ob der Brief überhaupt den Adressaten erreicht hat. Der Verfassungsschutz hatte ihn bei einer Routine-Postkontrolle abgefangen, geöffnet, den Inhalt gesichert. Ob der Umschlag hernach wieder in den Postverkehr gegeben wurde, konnte nicht ermittelt werden. Den aus Beweisnot an ihn herangetragenen »Deal«, bei einem umfassenden Geständnis könne er mit einer Bewährungsstrafe davonkommen, schlug der Angeklagte aus. Am 15. September wird fortgesetzt.