Leitartikel31. August 2021

Antifaschismus und demokratische Verfassungsreform

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Die Gedenkfeiern zum Generalstreik vom 31. August 1942 sind wichtig und müssen in Zukunft auch von den jungen Generationen mitgestaltet werden. Lobenswert ist zudem, dass Politiker und Vertreter der unterschiedlichen Verbände, die anlässlich dieser Erinnerungszeremonien Reden halten, mit einem gewissen Impetus vor den rechtsextremen Gefahren warnen, die in sämtlichen EU-Staaten lauern.

Auf die Grundübel, die den Schoß für neue faschistische Bewegungen gleichsam fruchtbar halten, wird indes nicht eingegangen. Unter Tabuisierung vieler Tatsachen beruft man sich auf die »Werte« der Europäischen Union. Eben diese EU, die neofaschistische Kampfverbände und deren Sympathisanten in der Ukraine protegiert, hat mit ihrer Gesetzgebung zu einer Verschärfung der kapitalistischen Ausbeutung sowie zu einer Konkurrenzsituation unter den Schaffenden aus den EU-Ländern geführt und damit zu einer gefährlichen sozialen Spaltung. Außerdem wird im Zusammenspiel mit der NATO und den USA die imperialistische Ausplünderungspolitik in Afrika, Südamerika und Asien ökonomisch sowie militärisch vorangetrieben, was wiederum zur Vertreibung von Millionen Menschen führt. Durch das Verschweigen der kapitalistischen Gewalt- und Krisenpolitik, die menschenverachtende Ressentiments aller Art am Schwelen hält und die damit den Nährboden auch der neuen Faschisten bildet, verhallen die Reden der bürgerlichen Politiker als gut gemeinte moralistische Deklamationen ohne konkreten politischen Impuls.

Dabei müsste gerade der Generalstreik in Luxemburg, dieser dezidiert friedliche Akt der Solidarität gegen faschistische Willkür und Kriegspolitik, eine Quelle der Inspiration sein. Das beste Rezept gegen Faschismus und kapitalistische Barbarei besteht in der Durchsetzung friedenspolitischer, sozialstaatlicher und demokratischer Grundprinzipien, gerade auch mit den Mitteln des Arbeitskampfes. Warum zum Beispiel nicht auch die Luxemburger Verfassung in diesem Sinne modernisieren?

Nun sollte man nicht davon ausgehen, dass ein progressiver Verfassungstext die Umwandlung eines zutiefst kapitalistischen Staates in eine sozialistische Gesellschaft bedeutet – das wäre allzu idealistisch-reformistisch gedacht und würde in eine Verkennung der ökonomischen Grundstrukturen des Staates sowie in eine Ausklammerung des Klassenkampfes münden. Dennoch würden die Beseitigung aller Beschränkungen beim Streikrecht und dessen Verankerung in der Verfassung ein deutliches Zeichen setzen und der luxemburgischen Konstitution einen demokratischeren und sozialeren Anstrich geben. Nicht vergessen sollte man die Aufnahme der sozialen Menschenrechte – Recht auf Arbeit, Bildung und Wohnung. Diese müssen einklagbar sein. Im Verfassungsentwurf von 2018 fungieren das Streikrecht und das Recht auf Wohnen als sogenannte »Staatszielbestimmungen«, womit der Staat nur sich selbst gegenüber verpflichtet ist. Allgemeine Gültigkeit haben sie keineswegs.

Die jeweiligen Regierungen und die Abgeordneten wären unter diesen juristischen Bedingungen – zumindest auf dem Papier – verpflichtet, die neuen Gesetze entsprechend zu formulieren. Sozialabbau und Militarisierung, wie in den letzten Jahrzehnten von den unterschiedlichen Regierungen betrieben, würden sich etwas schwieriger gestalten. Eine soziale, inklusive und demokratische Gesellschaft mit kämpferischen Gewerkschaften und friedenspolitischen Grundsätzen – die es weder in Luxemburg noch in anderen EU-Staaten gibt – ist das beste Bollwerk gegen faschistische Tendenzen. Die Demokratisierung der Verfassung wäre ein erster Schritt mit großer Symbolkraft.