Kultur24. September 2021

Utopische Literatur in der DDR (3)

»Interplanetarer Revolutionsexport«

von Nina Hager, Berlin

In den 60er Jahren etablierte sich die utopische Literatur in der Kulturlandschaft der DDR. Jährlich erschienen nun fünf bis sechs Bücher dieses Genres, darunter auch satirische Darstellungen (zum Beispiel Gerhard Branstners »Die Reise zum Stern der Beschwingten«, 1968, und Curt Letsches »Verleumdung eines Sterns«, 1968). Daneben wurde etwa die gleiche Zahl – vor allem aus dem Russischen – übersetzter Bücher verlegt, zudem »Klassiker«, das heißt, Erzählungen und Romane von Jules Verne und anderen. Ende der 60er Jahre erschien im Verlag »Volk und Welt« in der »Spektrum«-Reihe der Band »Raumschiff ahoi« mit Erzählungen US-amerikanischer SF-Autoren, darunter Heinlein und Simak.

Viele der Bücher erschienen in den Verlagen »Das Neue Berlin«, »Neues Leben« – der mit seiner »Kompass«-Reihe (seit 1959) und der Buchreihe »Spannend erzählt« (seit 1953) unterschiedliche Möglichkeiten bot, mit utopischen Geschichten und Romanen vor allem ein junges Publikum zu erreichen – sowie im Verlag »Kultur und Fortschritt«. Manche Romane spielten in naher Zukunft auf der Erde. In den Weltraumabenteuern ging es nicht nur um fremde Planeten und Außerirdische, sondern zum Beispiel auch um Bewährungssituationen von irdischen Raumschiffbesatzungen in »Erdnähe« (zum Beispiel »Asteroidenjäger« von Carlos Rasch, 1961).

Mit der irdischen Vergangenheit, genauer: der Zeit der Sumerer, und außerirdischen Besuchern beschäftigten sich Günther Krupkat (»Als die Götter starben«, 1963) und Carlos Rasch (»Der blaue Planet«, 1963). 1966 erschien die Fortsetzung des Romans »Titanus« von Eberhardt del’Antonio »Die Heimkehr der Vorfahren«. Darin kehrt die Expedition zum »Titanus« nach 300 Jahren zur Erde zurück. Die Rückkehrer treffen auf der Erde auf eine hoch entwickelte kommunistische Gesellschaft, deren Beschreibung leider, wie Rainer Simon (Essay »Die Science-Fiction-Literatur der DDR. Ein Überblick«, 2019) richtig schreibt, jedoch an einer »für Idealgesellschaften typischen Konfliktarmut« leidet.

Gesellschaftlicher Optimismus prägte in jener Zeit viele SF-Erzählungen und -Bücher (auch) von DDR-Autorinnen und -Autoren: Zum einen wegen der Erfolge der sowjetischen Raumfahrt und andererseits weil viele, für die es zum Sozialismus keine Alternative gab, um Frieden, soziale Sicherheit und Fortschritt für alle Menschen zu sichern, hofften, daß die sozialistischen Länder die kapitalistischen in naher Zukunft in wissenschaftlich-technischer wie ökonomischer Hinsicht überholen würden und ihr Vorbild Schule machen würde. Die Entwicklungen auf Kuba, die Befreiungsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent u.a. machten Mut. Optimistisch stimmte aber wohl auch, daß in der DDR in einer Reihe von Bereichen – nach der Grenzschließung am 13. August 1961 – deutliche Fortschritte erreicht wurden.

Anfang der 60er Jahre erschien von Richard Groß der Roman »Der Mann aus dem anderen Jahrtausend« (1961), ein Jahr später Lothar Weises »Das Geheimnis des Transpluto«. Beide Romane sind von diesem Optimismus geprägt: Der Held in »Der Mann aus dem anderen Jahrtausend« ist Sidney Ernest Mordgen, Sohn von General Mordgen, Anführer einer größeren US-amerikanischen Raumflotte, die sich 1990 zu einem Planeten im System der Sonne Epsilon-Eridanus flüchtete. Beim Start blieb eine der Hibernationskammern mit zurück. 200 Jahre später, auf der Erde hat sich inzwischen eine kommunistische Gesellschaft entwickelt, wird die Kammer entdeckt. Darin ein junger Mann im Alter von 26 Jahren, aus dem vergangenen Jahrtausend stammend. Der muß sich nun in der neuen Welt zurechtfinden. Ihm wird Mißtrauen, aber auch zunehmend Vertrauen entgegengebracht. Eine große Expedition macht sich zum Epsilon-Eridanus auf und stellt dort fest, daß die Nachkommen der USA-Flüchtlinge auf einem Planeten ein Unterdrückungssystem errichtet haben und die menschenähnlichen Ureinwohner unterjochen. Der junge Mordgen stellt sich auf die Seite der Ureinwohner und unterstützt wie seine Gefährten deren Revolution…

Lothar Weise beschäftigt sich dagegen mit dem »Geheimnis des Transpluto«, auf dem sich zwei Gesellschaftssysteme unversöhnlich gegenüberstehen. Auch hier siegt der gesellschaftliche Fortschritt. Für Rainer Simon ging es hier wie in del’Antonios »Titanus« und einigen anderen Veröffentlichungen jener Zeit in erster Linie um »interplanetaren Revolutionsexport«. Ist das tatsächlich zutreffend? Einerseits war es sicher so, daß die Autoren »irdische Erfahrungen« und auch Hoffnungen sowie Wünsche auf den Weltraum übertrugen. Aber ähnlich wie in Alexej Tolstois »Aelita« (Moskau/Petrograd 1923, Berlin 1957) ging es in den Büchern von Groß und Weise um bereits bestehende Auseinandersetzungen, in denen die Erdenmenschen jedoch Partei ergreifen. Jedoch: Im Unterschied zu den erwähnten SF-Romanen der DDR-Autoren siegt die Revolution in »Aelita« nicht …

Nina Hager, Berlin