Ausland30. November 2021

»Hybrider Krieg «

von Jörg Kronauer

Der Begriff »hybrider Krieg« hat doppelt Karriere gemacht. Seine erste begann Mitte der 2000er Jahre in der Fachdebatte von USA-Militärs. Offiziere wie Generalleutnant James Mattis, später Kriegsminister unter Donald Trump, argumentierten damals, die erdrückende Überlegenheit der USA-Streitkräfte auf dem Schlachtfeld gerate durch die moderne Technologie in Gefahr: Was, wenn ein Feind versuche, seine schwächere Position durch Komplexität wettzumachen – also dadurch, daß er gleichzeitig auf allen Ebenen vorgehe, neben konventionellen Operationen etwa mit Cyberattacken und Laserangriffen auf Satelliten, zudem mit Instrumenten, die – von der Sprengfalle bis zum Suizidanschlag – klassischerweise Terroristen zugeschrieben werden?

Nicht alle waren damals überzeugt, daß es sinnvoll sei, ein solches Vorgehen als neu einzustufen und es mit dem Begriff »hybrider Krieg« zu etikettieren; schließlich wurden bei Kriegen schon immer alle zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt, zuweilen sogar – man denke an die japanischen Kamikazepiloten im Zweiten Weltkrieg – Selbstmordangriffe. General Mattis und andere konnten aber immerhin darauf verweisen, daß dank moderner Technologie eine neue Qualität erreicht sei.

Wie auch immer: Man könnte die Debatte darüber ohne weiteres den Militärs überlassen, wäre da nicht die zweite Karriere des Begriffs. Die begann im März 2014 mit der Abspaltung der Krim von der Ukraine und ihrer Aufnahme in die Russische Föderation. Sie blieb nun nicht mehr auf die militärische Fachwelt begrenzt.

Mit einem so erfolgreichen Gegenschlag Moskaus gegen ihre Umsturzpolitik in Kiew hatten die transatlantischen Mächte nicht gerechnet. Es folgte eine hektische Debatte, was denn da eigentlich vor sich gegangen sei. Antworten boten »Politexperten« wie Mark Galeotti, der mit der »Gerassimow-Doktrin« Furore machte. Galeotti bezog sich dabei auf eine Rede, die der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow Ende Januar 2013 gehalten hatte. Darin war der darauf eingegangen, wie man bei staatlichen Großoperationen »politische, ökonomische, informationelle, humanitäre und andere nichtmilitärische Maßnahmen« kombinieren könne, um bestimmte Vorhaben zu realisieren. »Die Bedeutung nichtmilitärischer Mittel zur Durchsetzung politischer und strategischer Ziele ist gestiegen«, bilanzierte Gerassimow. Das, schrieb Galeotti im Juli 2014, sei doch wohl die Blaupause für das Geschehen auf der Krim, für Rußlands »heimtückischen hybriden Krieg«.

Galeottis Behauptung hatte mehrere Mängel. Ein erster: Daß Staaten zur Durchsetzung ihrer Ziele alle verfügbaren Mittel einsetzen, ist nun wirklich nicht neu; wieso man jetzt plötzlich von einer »Doktrin«, gar einem »hybriden Krieg« sprechen sollte, leuchtet nicht ein. Ein zweiter: Gerassimow hatte in seiner Rede nicht russische Handlungspläne beschrieben, sondern das reale Vorgehen der westlichen Mächte bei Umstürzen wie in der Ukraine oder in Libyen. Wollte man mit Bezug auf Gerassimow von »hybridem Krieg« sprechen, dann war das einer, den nicht Rußland, sondern die westlichen Mächte führten, und zwar seit Jahren immer wieder.

Ein dritter: Der Gebrauch der Vokabel »Krieg« trägt die Gefahr in sich zu enthemmen. Nein, Rußland führt keinen Krieg gegen den Westen, es hagelt schließlich keine Bomben. Was aber, wenn es vielleicht einen »hybriden Krieg« führt – ist dann nicht jedes Mittel im Kampf gegen Moskau erlaubt? Nun, aus genau diesem Grund dürfte der dritte Mangel des Begriffs »hybrider Krieg« sogar beabsichtigt sein: Er legitimiert noch jede eigene Aggression. Deshalb ist auch stets nur von angeblichen »hybriden Kriegen« gegnerischer Staaten die Rede.

Wenn nun aber der Westen Rußland mit einem Mix aus militärischem Aufmarsch, politischem Druck, Sanktionen, Propaganda und Subversion attackiert, dann ist das natürlich kein »hybrider Krieg«: Es ist, man kennt das, ein heroischer Einsatz für Freiheit, Demokratie und Frieden.